Das Kartell greift zur Preisschraube

Die Opec diskutiert auf ihrem Treffen in Wien über höhere Richtwerte für den Ölpreis – ein unausweichlicher Schritt

Hätten sich die Opec-Minister bereits vor einigen Wochen getroffen, wäre ihnen mehr Publizität zuteil geworden. Denn damals näherte sich der Ölpreis der 50-Dollar-Marke pro Fass mit etwa 159 Litern. Die Sorge war groß, dass der Schmierstoff zum Bremsklotz für die Weltwirtschaft würde. Und jede Äußerung eines Opec-Vertreters sorgte für starke Kursausschläge an den Rohstoffbörsen in New York und London. Denn etwa jeder dritte Liter Öl, der täglich auf den Markt kommt, stammt aus den Erdöl exportierenden Staaten (Opec).

Wenn die Opec-Minister ab heute in Wien zusammenkommen, spielt das für die Öffentlichkeit eine eher geringe Rolle. Dabei ist der Ölpreis weiterhin hoch. Und das dürfte dauerhaft so bleiben. Denn offenbar plant die Opec, das von ihr vor vier Jahren festgesetzte Preisband von 22 bis 28 pro Barrel anzuheben. Zumindest hatte Präsident Purnomo Yusgiantoro einen solchen Schritt vor kurzem bereits als „unausweichlich“ bezeichnet.

Das ist logisch, denn eigentlich sieht der Mechanismus der Opec vor, die Menge des geförderten Öls, also die Förderquote, anzuheben, sobald der Preis 20 Tage außerhalb des Zielkorridors liegt. Mittlerweile liegt er seit 18 Monaten über der Marke. Ein wenig hatte die Opec im Sommer reagiert und die Quoten erhöht. Doch viel mehr scheint zur Zeit gar nicht möglich. Nur das Mitgliedsland Saudi-Arabien ist in der Lage, seine Förderquote vergleichsweise schnell anzuheben, um mehr Öl auf den Markt zu bringen und den wachsenden Durst zu befriedigen. Fachleute schätzen allerdings, dass die Reserven Saudi-Arabiens auch schon zu mindestens 85 Prozent ausgeschöpft sind.

Und der Verbrauch wird weiter steigen: von gut 82 Millionen Fässern in diesem Jahr auf über 100 Millionen im Jahr 2020. Hinzu kommt die Fokussierung auf den Nahen Osten, wo mehr als 60 Prozent der Reserven liegen. Die politische Instabilität dort wird auch in Zukunft ein Dauerthema sein. Das spielt den Spekulanten in die Hände, die mit Termingeschäften den Ölpreis weiter in die Höhe treiben. Die „Terrorprämie“ macht derzeit etwa 25 Prozent des Preises aus.

Will die Opec nicht alle ihre Reserven verpulvern, muss sie also die Märkte auf höhere Preise vorbereiten. 26 bis 34 US-Dollar hatte Yusgiantoro vorgeschlagen. Andere Opec-Staaten streben zwischen 30 und 36 Dollar an. Doch ganz unumstritten sind die Pläne auch innerhalb des Kartells nicht. Saudi-Arabien lehnte vor dem Treffen nicht nur eine von Algerien vorgeschlagene Erhöhung der Quoten von 26 Millionen Barrel auf rund 28 Millionen Barrel ab. Auch für eine Änderung des Preisziels von 22 bis 28 Dollar sah der saudi-arabische Ölminister Ali al-Nuaimi keine Notwendigkeit.

Wahrscheinlich wird hier Rücksicht genommen auf den Wahlkampf in den USA. Denn Präsident Bush dürfte kein Interesse daran haben, dass sein autovernarrtes Volk mit der Aussicht steigender Benzinpreise konfrontiert wird.

Voraussichtlich wird die Opec deshalb zunächst ihre Strategiekommission damit beauftragen, entsprechende Vorschläge zu machen. Und die dürfte gute Argumente für eine Anhebung finden. Gestern trieb die Angst vor dem Wirbelsturm „Ivan“ den Preis für die Nordseesorte Brent an der New Yorker Rohstoffbörse Nymex um 58 Cent auf 44,45 Dollar. STEPHAN KOSCH