Autoindustrie vor dritter Revolution

In den Industrieländern gibt es heute noch rund 15 große Fahrzeugkonzerne. In den kommenden Jahren könnte sich diese Zahl halbieren, prognostizieren Studien. Überleben und wachsen kann nur, wer seine Produktion weltweit vereinheitlicht

AUS RÜSSELSHEIMKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die Autoindustrie steht nach der Einführung des Fließbandes und der weltweiten Umsetzung der von Toyota konzipierten „schlanken Produktion“ (Lean Production) vor der dritten großen Neuausrichtung in 100 Jahren. In Zukunft werden nur die Unternehmen überleben, die ihre Fertigungsprozesse global vereinheitlichen – und nicht wie bisher diverse Marken und Fertigungsarten in aller Welt parallel unterhalten. Außerdem werden nach Analysen der Beratungsfirma Mercer Management Consulting von den heute 15 Autokonzernen in den USA, Europa und Japan im Jahre 2010 nur noch etwa sechs bis zehn Unternehmen existieren.

Dies seien genau die Konzerne, denen in den kommenden Jahren die Realisierung der Vereinheitlichung der Fertigungsprozesse der unterschiedlichsten Marken unter ihrem Firmendach gelingt, und damit die drastische Reduktion der Produktionskosten.

„Völlig neu aufstellen“ werde sich die Branche in den nächsten zehn Jahren, heißt es auch in einer Studie des globalen Industrieforschungszentrums der Universität von Cardiff. Nur auf allen Kontinenten präsente Konzerne könnten sich am immer härter umkämpften Weltmarkt, auf dem wohl bald auch die nationale Automobilbau-Industrie von China als Exporteur von extrem preiswerten Kleinwagen mitmischen werde, behaupten.

Den Kampf der Giganten um eine Zukunftsperspektive eröffnete vor wenigen Tagen General Motors (GM) mit Stammsitz in Detroit im US-Bundesstaat Michigan. Der Konzern will die Mittelklassewagen seiner europäischen Töchter Saab und Opel – den Saab 9.3 und den Opel Vectra – ab 2008 in nur noch einem Werk bauen lassen: entweder bei Saab in Trollhättan in Schweden. Oder in den Opelwerken Rüsselsheim. Auch wenn die direkten Arbeitskosten bei Saab rund 15 Prozent unter denen von Opel liegen, wird der deutsche Standort Anfang 2005 wahrscheinlich den Zuschlag erhalten. Schließlich wurde in Rüsselsheim die zweite Revolution in der Automobilbaubranche überzeugend vollzogen. Mit dem für GM knapp eine Milliarde Euro teuren „Leanfield“ verfügt Opel in Rüsselsheim über die zur Zeit wohl modernste Autofabrik der Welt, während die Saab-Werke in Trollättan als „veraltet“ (GM) gelten.

Die Konzernzentrale in Detroit hat allerdings noch sehr viel weitergehende Pläne. Auch die Kompaktklasse auf dem „Verlustmarkt Europa“ (GM) soll bald an nur noch einem Standort gefertigt werden. Noch wird etwa der neue Astra – und die typengleiche britische Marke Vauxhall – in Bochum, Antwerpen und im britischen Ellesmere Port gebaut.

Doch damit noch nicht genug der Zusammenlegung: Das von Opel gemeinsam mit Fiat konzipierte Nachfolgemodell für den Kleinwagen „Corsa“ wird wohl ab 2006 weder in Deutschland noch in Turin gebaut, sondern sehr wahrscheinlich in Asien bei einem Unternehmen, an dem GM beteiligt ist. Und Motoren entwickeln Opel und Fiat in ihrer gemeinsamen Firma „Powertrain“ ohnehin schon seit Jahren – zusammen mit verschiedenen japanischen Herstellern. Es sollen sogar Pläne existieren, ein Luxusauto unter dem Markennamen Opel in Australien zu produzieren.

Neben GM ist auch Ford dabei, einige Werke in Europa so zu modernisieren, dass zukünftig verschiedene Modelle auf einem Band gefertigt werden können. Auch hier werden wohl bald einzelne Produktionsstätten zur Disposition stehen.

Die dritte Revolution in der Branche ist also voll im Gang. Und es steht zu befürchten, dass in deren Verlauf noch ein großer Hersteller in Europa den Gang zur großen Schrottpresse wird antreten müssen. Vielleicht trifft es dann sogar einen Giganten wie die Volkswagen AG mit ihrer schon 2003 erbärmlichen Umsatzrendite von nur 1,8 Prozent – und die Tendenz ist weiter fallend.