Heidehonig? Pustekuchen!

2003 war für norddeutsche Bienenköniginnen und ihre Völker ein annus horibilis: Erst die Hitze in den Bienenstöcken und dann kaum Nektar an den Blüten!

von CORNELIA KURTH

So ein Wahnsinnssommer, der einen ausgezeichneten Wein hervorbringen wird und auch im Norden Deutschlands alle Rekorde brach, er hat doch sicher ebenso dafür gesorgt, dass die Bienen jede Menge Sonnenhonig einsammeln und dem Imker reiche Ernte bringen konnten. Falsch gedacht! Dieser Sommer war besonders hart für Bienen und für Imker.

„Die Honigernte hier hat gerade mal die Hälfte des sonst Üblichen gebracht“, meint Imker „Bienenmax“ aus dem Weserbergland. „Lindenblütenhonig? Den kann man dieses Jahr vergessen!“ Zwar haben die Bäume wie in jedem Jahr geblüht und berauschend geduftet, aber durch die große Trockenheit konnten sie mit ihren Wurzeln nicht genug Wasser aus dem Boden ziehen, um auch Nektar zu produzieren. Und ohne Nektar gibt es keinen Honig.

In der Lüneburger Heide blühte es gar nicht erst. Die rosarote Pracht fiel einfach aus, und der Bienenspezialist Heinz Martin kann nur die Schultern zucken, wenn Kunden nach dem berühmten Heidehonig fragen. Pustekuchen. Die Saison ist vorbei, die Sache entschieden, und wo sonst im Herbst Imker und Bienen kiloweise Honig gegen Zuckerlösungs-Wintervorrat tauschen, da blieb der Tauschhandel ein recht einseitiger Vorgang. „Ich hätte ihnen den Honig nehmen können, der immer rund um den Brutkranz liegt, aber bin ich denn einer dieser Pfennigfuchser?“, meint der gemütliche Imker. „Die Tiere sollen jetzt ihre verdiente Ruhe haben.“

Ein wenig deprimierend war es aber doch. „Die Bienen flogen aus, wie sonst. Sie suchten und suchten, aber da war nichts für sie zu finden“, sagt Imkerin Anna-Lisa, Bienenmaxens Frau. Die Folge ist nicht nur, dass kaum Honig in den Waben war, sondern dass schon jetzt abzusehen ist: Die Bienenvölker werden geschwächt ins nächste Jahr starten. „Sie passen ihre Brutstärke ja den zu erwartenden Nahrungsvorräten für den Winter und den Start ins Frühjahr an.“

Hinzu kommt, dass große Hitze die Bienen in Alarmstimmung versetzt. Bei etwa sechzig Grad im Inneren des Stocks schmilzt das Wabenwachs dahin. Die wackeren Tierchen fächeln mit ihren Flügeln vorsorglich wie verrückt Kühlung herbei, um zu verhindern, dass alles zu einem klebrigen Matschhaufen zusammenbricht, und finden weniger Zeit zur Honigsuche. Dafür aber müssen sie auf grausame Räuber gefasst sein.

Denn schließlich sind alle Bienenvölker knapp dran; wenn eines entdeckt, dass im Nachbarstock etwas zu holen ist, startet eine kriegerische Invasion, ein großes gegenseitiges Abschlachten beginnt. Aufmerksame Imker sind also unbedingt „am Puls der Bienen“ und füttern rechtzeitig Honig und Zuckerlösung zu – möglichst ohne etwas zu verkleckern, damit keine Feinde angelockt werden. Aber, da ist Bienenmaxe Realist: „Wirtschaftlich ist das alles nicht gerade.“

Immerhin erging es den Bienen im Weserbergland nicht ganz so schlecht wie den Völkern in der Lüneburger Heide. Dort förderte die Trockenheit nämlich eine ausufernde Blattlauspopulation, die sich zum Beispiel auf den Kartoffelpflanzen niederließ und begierig deren Siebröhrensaft saugte. „Tja, an sich wäre das durchaus von Vorteil gewesen“, sagt Imker Martin, „schließlich sind Blattläuse das Melkvieh der Bienen, vor allem wenn der gewohnte Nektar knapp ist.“

Die Läuse brauchen nämlich nur die in den Kartoffelpflanzen enthaltenen Mineralien und geben den honigtauglichen süßen Saft wieder ab (auch Ameisen und Marienkäfer wissen das zu schätzen). „Die Bienen können mit den Kartoffelblüten ja nichts anfangen, sie stürzten sich um so wilder auf die Ausscheidungen der Blattläuse.“ Prima – nur (der Heide-Imker ist wirklich empört) waren die Kartoffeln giftig gespritzt, und so gingen in Nordniedersachsen insgesamt über tausend Bienenvölker zugrunde.

„Eigentlich müssen die Bauern darauf achten, ob Bienen in ihre Felder fliegen“, so Martin. „Immer wieder gibt es diese heißen Blattlausjahre, und dann dürfen sie auf gar keinen Fall ihre bienenunverträglichen Insektizide aufbringen!“ Offensichtlich tun es viele Bauern aber trotzdem, in der Hoffnung, dass es nicht wie in diesem Rekordhitzesommer zu so einer Katastrophe führt, die im Heidegebiet etwa 240 Völkern den Tod brachte und den Versicherungen jede Menge Schadensersatzklagen. Imker Martin verlor sieben seiner vierzig Völker und ist ziemlich aufgebracht: „Schön ist das nicht, wenn man morgens zum Stock kommt und da die Bienen tot vor der Tür liegen!“ Was einen möglicherweise giftigen Honig betrifft, da kann man allerdings Entwarnung geben. Bevor die Tiere den Nektar hätten verarbeiten können, waren sie schon alle gestorben.

Bienenmaxens aus dem Weserbergland hatten sowieso, wie jedes Jahr, vorgesorgt und sich ein zweites Standbein errichtet, indem sie mit ihren Bienen „wanderten“ und viele Völker auch in Süddeutschland fliegen ließen. Teuer ist das Wandern aber auf jeden Fall, vor allem dann, wenn man das eigene Bundesland verlässt. Dann braucht man nämlich ein Gesundheitszeugnis für seine Völker, der Veterinär muss vorbeikommen, um die Unbedenklichkeit zu bescheinigen, und selbstverständlich will er dafür bezahlt werden.

Das eigentliche Problem in Norddeutschland aber, erklärt das Imkerpaar, sei gar nicht so sehr der fehlende Nektar gewesen. Ertrag und Einkommen waren gering, aber das könne man schon mal für ein Jahr durchhalten. „Viel schlimmer sind die Langzeitschäden, wenn die Pflanzen keine Pollen bilden.“ Und ganz genau so war es in vielen westfälischen Landstrichen.

Die Blütenpollen, die die Bienen pudrig an ihren Hinterbeinen anschleppen, sie allein bieten die Eiweißnahrung, ohne die keine Brut entwicklungsfähig ist. Die Larven brauchen anfangs keinen Honig, sie brauchen Pollenkraftnahrung, um zur Arbeitsbiene oder zur Drohne zu werden. Ohne die Eiweißspritze verkümmert der zukunftsträchtige Nachwuchs. Und ausgerechnet die Brut, die in den heißen Wochen angesetzt wurde, sie sollte doch zum Grundstock für ein kräftiges 2004er-Volk werden! Oft genug stellte die Königin, die sonst zweitausend und mehr Eier pro Tag legt, ihre Eierproduktion kurz entschlossen ein. Das war’s dann. Aus. Ende. Es sei denn, der Imker legt im Frühjahr zwei geschwächte Völker zu einem zusammen, wobei sich entweder die vitalere Königin im heftigen Kampf durchsetzt oder eine der beiden Thronanwärterinnen vom Imker – Bienenmax drückt Zeigefinger und Daumen zusammen – einfach zerquetscht wird.

Die Bienen in Süddeutschland, sie brachten Honig über und über ein. Aber selbst da gab es Wermutstropfen. In erster Linie sammelten die Flugbienen den von blätteraussaugenden Blattläusen „gemolkenen“ Waldhonig, der dunkel und lecker ist, aber nicht dazu geeignet, auf gute Weise über den Winter zu kommen. Er enthält nämlich so viele Ballaststoffe, dass die Kotblase der Bienen viel zu schnell gefüllt ist. Da sie bei niedrigen Temperaturen nicht fliegen und den Stock verlassen können, müssen sie innerhalb ihrer Behausung koten, was unweigerlich, da sie den Kot fein säuberlich wieder auflecken, zu Durchfallerkrankungen führt. Ein guter Imker registriert dieses Problem und tauscht den Waldhonig rechtzeitig gegen ballaststoffarmen Blütenhonig oder Zuckerlösung aus.

Jetzt ist es Herbst, und wenn sich mal ein Bienchen aus dem Stock traut, dann torkelt es nur träge durch die kühle Luft. Ab und zu guckt Imker Martin noch mal nach bei seinen Stöcken. Hat auch jedes Volk eine gesunde Königin? Das nämlich muss sein, damit sich die Bienen der Winterruhe überlassen können. Ohne Königin sind sie nervös und kribbelig und versuchen gar noch, eine Prinzessin zur Befruchtung auszuschicken, ein bei der Kühle vergebliches Unterfangen. Wenn der Imker nicht aufpasst, kann es passieren, dass die jungfräuliche Königin hastig lauter unbefruchtete Eier legt. „Und das wird nichts …“

Manchmal also werden noch im letzten Augenblick zwei Völker zusammengelegt, indem man zwei Wände der Kästen entfernt und stattdessen Zeitungspapier dazwischenlegt. Bis das durchgenagt ist, haben sich die Bienen an den jeweils fremden Volksgeruch gewöhnt und tun sich friedlich zusammen (im Sommer würde eine ähnliche Aktion zu grausamem Gemetzel führen).

Nun ist endlich Ruhe im Karton. Während Bienenmax und seine Frau das Wachs für Kerzen reinigen und sich auf die Wintermärkte vorbereiten, beginnt für den Heide-Imker eine geruhsame Zeit, die er nicht nur dazu nutzt, neue Kisten zu bauen und alte Rähmchen auszubessern, sondern auch dafür, sich mit Vergnügen der Fachlektüre zu widmen und sich mit gelehrten Imkerkollegen zum Beispiel darüber auszutauschen, ob und wie man die „schwarze Biene“, die eigentliche Urbiene namens Apis mellifera mellifera, wieder in der Heide ansiedeln könnte. Die überlebt auch in schlechten Zeiten, ohne große Probleme zu machen, weil sie über Winter nur wenig vorratsverzehrende Brut ansetzt und dafür im Sommer wie verrückt ausschwärmt und mit frischem Mut neue Völker bildet.

Er selbst beschäftigt sich als einer der ganz wenigen Imker in Norddeutschland mit der Zucht von schwarzen Bienen, doch um ausdauernde Völker zu bilden, braucht man viele Bienenvölker mit unterschiedlichem Erbgut. Die Königin lässt sich ja nicht von den eigenen Drohnen befruchten, weil das zu fataler Inzucht führen würde. „In Dänemark gibt es einen Imker, der weiterhelfen könnte“, meint er. „Aber der will nicht mit Deutschen zusammenarbeiten.“

Bienenmax, Anna-Lisa und schließlich auch Heinz Martin, sie sind trotz aller Schwierigkeiten erstaunlich gelassen. Zum Glück war ja die Rapsernte im Frühsommer wirklich gut, und auch der Honig der Akazien, die es eh warm lieben, ist nicht zu verachten. „Es gibt eben solche und solche Jahre“, sagt Imker Martin. Und Bienenmaxens, sehr weise, sagen: „Wir leben mit der Natur, genau wie unsere Bienenvölker. Dinge, die man nicht ändern kann, muss man eben einfach hinnehmen.“

CORNELIA KURTH, taz.mag-Autorin, geboren 1960, isst am liebsten Rapshonig. Von dem gibt’s in diesem Jahr zum Glück im Überfluss