Staub am Meer

Bremerhavens Stadttheater greift zur Spielzeiteröffnung zweimal in die Mottenkiste – einmal mit Erfolg

Zur Spielzeiteröffnung in Bremerhaven setzt Intendant Peter Grisebach auf Angestaubtes: Dabei überrascht Wolfgang Hofmanns Inszenierung von Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ am Schauspiel, während die städtische Oper eindringlich demonstriert, wie schwer es ist, d’Alberts genau 100 Jahre alte Oper „Tiefland“ aus dem Tiefschlaf zu wecken.

Es liegt nicht an der spätromantischen Gebrauchsmusik: Bremerhavens Städtisches Orchester spielt souverän den süffigen Mix aus Wagner, Bizet und italienischen Veristen. Dazu bilden Melanie Maennl als Marta, Ulric Andersson als Naturbursche Pedro und John Rath als Schurke Sebastiano ein kongeniales Trio, verstrickt in einen Plot aus purer Kolportage. Die Inszenierung von Jasmin Solfaghari aber reagiert darauf so bieder, als wollte sie die Oper endgültig unterm Staub der Zeit begraben: Ein Mühlstein auf dem Boden wird zur umtanzten Plattform der Gefühle. Das ist so sinnfällig wie grob, ersetzt aber nicht die fehlende Feinzeichnung des Beziehungskampfes. „Tiefland“ hätte des Mutes zur radikalen Entstaubung bedurft.

Wagt das Stadttheater solche Schritte nicht mehr? Im Schauspiel sieht es anders aus: Regisseur Wolfgang Hofmann führt den „Hauptmann von Köpenick“ als opulenten Bilderbogen vor: Zuckmayers Zeitstück erzählt die Geschichte des Schusters Wilhelm Voigt, der sich auf der vergeblichen Suche nach Pass und Arbeit die Offiziers-Uniform überzieht und das Rathaus von Köpenick einnimmt.

Wer dieses „deutsche Märchen“ von 1931 heute inszeniert, muss sich fragen lassen, was darin in die Gegenwart reicht. Der Militarismus scheint genauso perdu wie die Staats- und Autoritätsgläubigkeit. Doch Hofmann spürt die tieferen Quellen des „deutschen Charakters“ (Zuckmayer) im langlebigen Liedgut auf. Eine uniformierte Blaskapelle und ein 50-köpfiger Chor kommentieren die Szenenfolge mit Marsch- und Heimatklängen. Da liegen Mitklatschen und Mitfühlen bedrohlich nahe. Hofmann zeigt eingefrorene Tableaus in teilweise ermüdender Langsamkeit. Aber seine Idee, im gesammelten Liederkranz die sentimentale deutsche Seele zum Klingen zu bringen, geht unter die Haut. Hans Happel

Stadttheater Bremerhaven. Vorstellungen: „Tiefland“ am 12., 16., 24., und 28. 10.; „Der Hauptmann von Köpenick“ am 15. 10., jeweils 20 Uhr