Klagelied der Schlange

Auf den Fluren vor der AStA-Rechtsberatung herrscht Staugefahr: Abgewiesene Bewerber suchen juristische Hilfe, um doch noch ihr Studium aufnehmen zu können

von HOLGER SCHLEPER

Als „Tor zur Welt der Wissenschaft“ präsentiert sich die Universität Hamburg in ihrem Leitbild. Bei 18.476 Bewerbern, die sich um 5.300 zu vergebende Studienplätze bemühen, ist das Gedränge vor diesem Tor groß geworden. Rund 13.000 Bewerber erhielten Absagen. Als ein Ausweg bleibt die Studienplatzklage, von der immer mehr Abgewiesene Gebrauch machen.

„In diesem Semester kommen wirklich sehr viele Klagewillige“, bestätigt Rolf Bosse von der Asta-Rechtsberatung. Und dieser Druck, befürchtet der 28-Jährige, werde noch größer werden, sollte die Hochschule an den Plänen festhalten, weiter Studiengänge zu verkleinern. Der auf Studienplatzklagen spezializierte Anwalt Marko Dörre pflichtet bei: „Es sind deutlich mehr Nachfragen geworden.“ 16.000 Zugriffe verzeichnete er innerhalb einer Woche auf die Homepage seiner Kanzlei. Ein neuer Spitzenwert. Vor allem die Fachbereiche Human-, Zahn- und Tiermedizin sowie Psychologie, die allesamt hohe Zulassungshürden aufweisen, seien begehrt.

Die lange Schlange, die sich vor dem Büro der Asta-Rechtsberatung staut, verwundert da nicht mehr. Mathias Schuomann ist einer von vielen, die an diesem Tag Hilfestellung für eine Klage gegen die Hamburger Uni suchen. Für ihn gibt es keinen alternativen Studienort, denn er kümmert sich um seinen pflegebedürftigen Vater. „Außerdem habe ich einen Festvertrag bei einer Firma, für die ich arbeite.“ Auch Shervin Keihani kann sich nicht vorstellen, sein angestrebtes Studium der Zahnmedizin in einer anderen Stadt aufzunehmen. „Ich warte jetzt seit zwei Jahren auf einen Studienplatz, und habe wieder eine Absage bekommen. Seit 17 Jahren wohne ich jetzt hier und Hamburg ist einfach die Stadt für mich“, sagt der 21-Jährige enttäuscht.

Positiv gestimmt zeigt sich hingegen Maike Möller, obwohl sie schon sechs Wartesemester hinter sich hat: „Ich habe mit der Schlange gerechnet und bin nur dankbar, dass es so eine Rechtsberatung gibt. Es gibt nur 14 Plätze in Volkskunde, daher wusste ich, dass es knapp wird.“ Die 22-Jährige möchte Dokumentarfilmerin werden, ein Berufsziel, auf das die Hamburger Hochschule speziell vorbereitet.

Vielen sind also bei der Wahl des Studienortes die Hände gebunden. „Trotzdem ist die Einstellung: Scheuklappen auf, ich will in Hamburg studieren, schlecht“, warnt Bosse. Man solle immer einen Plan B haben, denn die Berufs- und Lebensplanung stehe auf dem Spiel. Zumal die Erfolgsaussichten einer Klage nicht vorhersagbar sind. Zwar nennt Dörre mit 137 eingeklagten Medizinstudienplätzen in Leipzig und 48 in Dresden im Vorjahr beeindruckende Zahlen, doch ist ein Erfolg an viele Voraussetzungen geknüpft.

Wurde einem Bewerber durch die Zentrale Studienplatzvergabe (ZVS) ein Platz in einer anderen Stadt als Hamburg zugewiesen, so ist eine Klage nahezu aussichtslos. Ratsam ist es von daher, bei einer ZVS-Bewerbung einen Ortsbindungsantrag zu stellen. Auch gilt es zu überlegen, ob es Härtefallgründe gibt, warum ein Studium nur in Hamburg in Frage kommt. Die Behauptung, die dann hinter einer Klage steht, ist die, dass die Hochschule weniger Plätze anbietet, als ihre Kapazitäten zulassen. Das wird vom Verwaltungsgericht nachgerechnet, wobei die Zahl der Personalstellen, der Räumlichkeiten und der finanziellen Mittel in ein kompliziertes Rechenverfahren einfließt. Versuchen mehrere Bewerber, einen bestimmten Studienplatz einzuklagen, ist beim Hamburger Verwaltungsgericht eine Besonderheit zu beachten: Während die Richter in der Regel die übrigen errechneten Plätze per Los vergeben, stellen die Hamburger Verwaltungsrichter eine Rangliste der Kläger nach Note, Wartezeit und Wohnort auf. Auch hier gilt es also zu bedenken, ob die Klage eine Chance hat.

In jedem Fall ist eine Klage mit Hilfe der Asta-Rechtsberater durchaus finanzierbar. „Ohne Anwalt kann man mit 75,50 Euro auskommen“, rechnet Rolf Bosse vor, der zudem auf den Vertragsanwalt des Asta, Jürgen Schaller, verweist, der für 10 Euro eine Erstberatung durchführt. Also auch Studierende mit schmalem Budget können den Gang zum Gericht wagen. Es ist wohl eine entscheidende Eigenschaft, schmal zu sein, will man durch das enge Tor zur Hamburger „Welt der Wissenschaft“.