Der Ansturm ist erfreulich

Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) empfiehlt abgelehnten Bewerbern Mobilität. Hochschulen sollen ab 2004 Studierende selber aussuchen. Geplante Absolventenzahl reicht nicht für die „Strahlkraft einer Metropole“

Interview: KAIJA KUTTER

taz: Von Mitarbeitern der Uni-Zulassungstelle soll ich Ihnen eine Bitte übermitteln. Sie sollen keine Plätze abbauen. Denn 13.000 abgelehnte Bewerber gab es ja jetzt schon. Ist das eine Problematik, die an Ihnen vorbeigeht?

Jörg Dräger: Die Bewerberzahl zeigt, dass es ein großes Interesse gibt, an Hamburger Hochschulen zu studieren. Das finde ich erfreulich. Es ist zwar für den Einzelnen sehr bedauerlich, nicht die Wunschhochschule besuchen zu können. Es wird aber nie möglich sein, jedem Bewerber hier in Hamburg einen Platz zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite haben wir auch hier im Norden Hochschulen, wo es noch freie Studienplätze gibt.

Das Kultusministerium von Mecklenburg-Vorpommern faxte uns in der Tat eine Liste mit freien Plätzen. Aber wer dort studiert, muss sein Geld mitbringen. Es gibt kaum Chancen, zu jobben.

Sicher ist die Arbeitsmarktsituation in den neuen Ländern nicht so gut wie in Hamburg. Aber die Hochschulen bieten studentische Hilfsjobs an. Und die Lebenshaltungskosten sind auch wesentlich geringer, gerade was das Mietniveau angeht.

Sie planen einen 15-prozentigen Kapazitätsabbau bis 2009. Gleichzeitig warnten Sie Anfang September auf dem FDP-Parteitag davor, Hamburg habe ab 2012 zu wenig Absolventen für die Metropolregion. Was gilt nun?

Da muss ich ausholen. Wir hatten hier eine unterfinanzierte Hochschullandschaft vorgefunden. Über zwei Legislaturperioden sank der Etat um 15 Prozent. Beim Bundesvergleich stand Hamburg an letzter Stelle. Da war es der einzig richtige Weg, den Fokus auf die Qualität zu legen. Wir senken die Kapazität ab, um die Studienbedingungen zu verbessern und dadurch die Absolventenzahl zu steigern. Nur so können wir erreichen, dass mehr als nur jeder Zweite ein Examen macht.

Und haben künftig zu wenig Absolventen?

Mit unseren Reformen steigern wir die Zahl der Absolventen von 6.000 auf 6.700. Diese Zahl reicht für das Umland, auch weil wir in dieser Region einige Hochschulen haben. Aber wenn wir eine überregionale Bedeutung haben, dann haben wir auch jenseits des Umlandes eine Verantwortung. Wenn wir tatsächlich die Strahlkraft einer wirklichen Metropole haben wollen, hielte ich eine Steigerung der Absolventenzahl innerhalb von zehn Jahren auf 8.000 bis 9.000 für angemessen.

Sie wollen kürzere Bachelor-Studiengänge mit einer besseren Betreuung. Wie verhindern Sie, dass Studierende sich einklagen, wie es derzeit geschieht?

Die Kultusministerkonferenz erarbeitet zurzeit ein neues Regularium, damit diese neuen Studiengänge klagesicher sind.

Dann gibt es bundesweit neue Werte für die Betreuung?

Nein. Bisher gab es für alle Fächer bundesweit einen einheitlichen Level. Die neuen Regularien werden den Ländern mehr Flexibilität einräumen. Sie entscheiden, diese Studienplätze statten wir ganz besonders gut aus und jene nicht ganz so gut.

Ab wann können Hochschulen die Bewerber selbst aussuchen?

Unser ambitioniertes Ziel ist Wintersemester 2004/2005. Für die sieben ZVS Fächer muss der Bundesgesetzgeber das Hochschulrahmengesetz ändern. Für die Fächer mit lokalem Numerus Clausus planen wir ein Landesgesetz, das zum Wintersemester 2004 in Kraft treten soll. Unabhängig davon sollen die Hochschulen nach Paragraf 37 des Hochschulgesetzes für alle Fächer festlegen, welche Qualifikationen zusätzlich zum Abitur sinnvoll sind – beispielsweise, dass man fürs Ingenieursstudium Mathematik bis zum Abitur machen müsste.

Wie soll die Uni bei 19.000 Bewerbern in sechs Wochen eine individuelle Auswahl treffen?

Es wird mehr Zeit für die Zulassung geben müssen. Es wäre zu überlegen, ob ein einjähriger Zulassungsrhythmus sinnvoller ist. Und wir stehen mit den Hochschulen in Diskussion, wie Stellen für diese Auswahl finanziert werden können.

Landeskinder haben derzeit eine Chance über die Härtefallklausel. Soll es die weiter geben?

Ja. Das ist verfassungsrechtlich vorgegeben. Studierende, die beispielsweise pflegebedürftige Eltern haben, werden auch künftig bevorzugt. Aber im ZVS-Verfahren wird sich etwas ändern. Zurzeit haben wir sieben Fächer, die über die Zentrale Studienplatzvergabe verteilt werden nach den Kriterien Abiturnote, Wartezeit und auch Wohnort. Künftig sollen Leistung und Qualifikation entscheidend sein, weniger der Wohnort.