Im Kapitel „Topics“ steckt Heller einen „Orientierungsrahmen“ für künftige Entscheidungen. Die taz dokumentiert daraus den letzten der fünf Eckpunkte

Brutstätten und Besessene – Voraussetzung für jede Kultur

Üblicherweise beschäftigt sich urbane Kulturpolitik mit Strukturen, Finanzen, Verteilmechanismen, Förderinstrumenten und Bauten. (...) Fest steht jedoch, dass eine derart definierte und damit limitierte Kulturpolitik an wesentlichen Aspekten dessen vorbeizielt, was eine Stadt antreibt. Kulturelle Szenen und Wunder von überregionaler, gar transnationaler Bedeutung korrelieren bekanntlich nur selten mit der korrekten Abwicklung administrativer Zugriffe. Und obschon sowohl Szenen als auch Wunder nur bedingt planbar sind, gibt es doch zwei Faktoren, die im Hinblick auf kulturelle Qualitäten eine entscheidende Rolle spielen: Brutstätten und Besessene.

Was ist darunter zu verstehen?

Zum einen Brutstätten – jene vergleichsweise überschaubaren Orte, an denen kulturelle Leistungen entstehen können. In eigener Zeitlichkeit, angemessenen Werkstattbedingungen, als Laborprozesse, ohne den Druck sofortiger Veröffentlichung und Nutzung. Brutstätten sind eigentlich nichts anderes als spezifische Milieus. Welten, in denen die jeweiligen Auffassungen über das, was cool, passend, professionell, avantgardistisch oder zielführend ist, weitgehend einvernehmlich und für alle Beteiligten unterhaltsam produktiv gemacht werden. (...)

Zum anderen Besessene – hier geht es um alle, die Kultur als Berufung leben und dabei im besten Sinne rücksichtslos agieren, als Salz in der gesellschaftlichen Suppe. Ihre Ansprüche sind tendenziell unstillbar und ihre Leidenschaft nicht minder. Mitunter brauchen Besessene deshalb Widerstand, um sich nicht zu verlieren. An diesem Widerstand, der keinesfalls zu verwechseln ist mit Abweisung oder gar Repression, können sie sich abstoßen, um in unerschlossene Dimensionen vorzudringen. (...)

Was ist aus dieser zwangsläufig unscharfen Umschreibung im Hinblick auf Bremens Kulturhauptstadtbewerbung zu folgern? Drei abschließende Überlegungen drängen sich auf:

1. „Brutstätten“ und „Besessene“ sind Ehrentitel. (...) Um Brutstätten und Besessene erkennen und von beispielsweise nichtssagenden Freiräumen und leerer Selbststilisierung unterscheiden zu können, ist die kulturelle Wahrnehmung und Wertung entsprechend zu differenzieren.

2. Was selten und zugleich außergewöhnlich qualitätsvoll ist, verdient Respekt und Pflege. Gerade in Bremen, wo Kulturpolitik immer auch als soziale Befriedung verstanden wird und wo schnell einmal stört, wer das Außergewöhnliche erzwingen will. Hier ist zumindest mit allen Kräften zu verhindern, dass Besessene resignieren und Brutstätten erkalten. Oder umgekehrt und fordernder: Es ist alles daran zu setzen, dass B&B zum Strategiemerkmal bremischer Kulturpolitik und zu einem Logo von Bremens Bewerbung wird.

3. Die bisherigen Überlegungen (...) postulieren eine Blickverschiebung und die Einführung ebenso gezielter wie begründeter Ungerechtigkeit in das Fördersystem, um den Erfolgsdruck zu erhöhen. Wie sich das bewerkstelligen lässt, bleibt zu finden; der Weg zur Kulturhauptstadt 2010 jedenfalls bietet exemplarische Lern- und Anwendungsmöglichkeiten genug.

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