Shoppen bis zur „Tagesschau“

Seit drei Monaten können die Berliner samtags vielerorts bis 20 Uhr einkaufen. Sie tun es begeistert, der Handel macht Plus. Gewerkschafter finden die neuen Arbeitszeiten für Verkäufer weiter unsozial

von RICHARD ROTHER

Schlechtes Wetter, nichts zu tun, und noch ein paar Euro auf dem Konto? Wer sich heute fragen sollte, was er mit diesem Oktobersonnabend anfängt, kommt vielleicht auf diese Idee: einkaufen gehen. Seit rund drei Monaten können die Berliner samstags bis 20 Uhr ihr meist weniges Geld ausgeben. Die Tendenz ist eindeutig: Sie tun es. Die Berliner nutzen den langen Einkaufssamstag, konstatieren sowohl Befürworter als auch Gegner der verlängerten Öffnungszeiten.

„Die Berliner haben den langen Samstag voll angenommen“, konstatiert der Handelsexperte Jan Holzweißig vom Einzelhandelsverband. „Früher musste man manche Kunden um 16 Uhr fast hinauswerfen.“ Heute könnten sie in Ruhe weitershoppen.

Ein Verhalten, das offenbar die Kassen klingeln lässt. Um rund 5 Prozent sei der Umsatz der teilnehmenden Geschäfte gestiegen, heißt es beim Einzelhandelsverband. Das Interessante daran: das Plus bleibt auch, wenn man eventuelle Umsatzdellen unter der Woche herausrechnet. Das heißt, das sehr gute Samstagsgeschäft reißt in der Regel ein geringeres Geschäft am Montagmorgen oder am Freitag heraus. Und die höheren Umsätze kompensieren mindestens die höheren Kosten – etwa im Personalbereich –, die die verlängerten Öffnungszeiten für die Ladenbesitzer bedeuten. Holzweißig: „Ich kenn keinen einzigen Fall, bei dem sich das nicht gerechnet hat.“ Auch Umsatzverlagerungen – weg von den Kiezen, hin zu den Einkaufszentren – seien nicht zu beobachten.

Dabei ist der lange Samstag seit seiner Einführung am 7. Juli unterschiedlich gelaufen. Waren zu Beginn die Kaufhäuser voll, vertrieb die große Sommerhitze so manchem Kunden die Kauflaune. Das durchwachsene Septemberwetter hat die großen Häuser in der Stadt – ob am Ku’damm, am Alex und am Potsdamer Platz – wieder gefüllt.

Die nun leicht erwachende Kauflust der Berliner begründet Einzelhandelsmann Holzweißig so: „Die Leute haben zwar nicht mehr Geld zum Einkaufen, aber mehr Zeit.“ Vor zehn Jahren seien 42 Prozent des verfügbaren Einkommens im Handel gelandet, heute nur noch 32 Prozent. Der Grund: Die Leute sparen mehr oder geben ihr Geld im Urlaub oder für Freizeitaktivitäten aus. Der lange Samstag soll den Trend nun umkehren.

Für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist das eine Entwicklung, die auf Kosten der Verkäufer und Verkäuferinnen geht. „Der lange Samstag bedeutet unsoziale Arbeitszeiten“, sagt Ver.di-Einzelhandelsexperte Achim Neumann. Die Arbeit am Samstag erschwere das Familien- oder soziale Leben. „Wenn die Verkäuferin nach Hause kommt, ist das Abendprogramm gelaufen.“

Zudem bezweifelt der Gewerkschafter die Erfolgsmeldungen der Branche. Der Start des langen Samstages habe einen gewissen Event-Charakter gehabt, so Neumann. Man müsse die Entwicklung aber über einen längeren Zeitraum beobachten, um zu sehen, ob am Ende wirklich Umsatzzuwächse zu verzeichnen seien. Und selbst wenn ein Zuwachs zu registrieren sei, sei noch nicht klar, ob das an den längeren Öffnungszeiten liege. „Vielleicht lässt nur das Angstsparen etwas nach.“

Die Gewerkschaft will nun in den laufenden Tarifverhandlungen Zuschläge für die Samstagnachmittagsarbeit durchsetzen. Zur nächsten Verhandlungsrunde am 23. Oktober erwartet der Gewerkschafter ein konkretes Angebot. Andernfalls müsse man über Maßnahmen nachdenken, die die Arbeitgeber wirklich spüren würden, so Neumann.

Wenn es hart auf hart kommt, könnte also im Vorweihnachtsgeschäft die eine oder andere Kaufhaustür geschlossen bleiben – trotz verlängerter Öffnungszeiten. Immerhin rund 8.000 Geschäfte wollen in der Weihnachtszeit an Samstagen länger öffnen, zur Zeit sind es rund 4.000. Holzweißig: „Das Weihnachtsgeschäft bringt hoffentlich noch einmal einen Schub nach vorn.“