peter unfried über Charts
: Hurra, wir werden wieder Weltmeister

Soll man morgen Abend tatsächlich das Frauenfußball-WM-Finale anschauen?

Früher unterstellte man Frauen, die Fußball spielen, Penisneid. Sagt jedenfalls Franz Josef Wagner. Früher diagnostizierte man allerdings auch bei Männern, die für Bild arbeiten, Penisneid.

Vor zwei Wochen jedenfalls galt selbst in aufgeklärten Fachkreisen noch ausgemacht, was taz-Autor Max Merkel unlängst zugespitzt formuliert hatte, nämlich dass Frauenfußball ein „Elend für die Augen“ sei. Ansonsten wurde allenfalls mal eine Art Lesbenskandal kolportiert. Jetzt ist plötzlich einigen aufgefallen, dass Frauen kein Bier mehr holen, sondern – im Gegenteil – Fußball-Weltmeister werden. Wenn sie morgen (19 Uhr, ARD) in Carson, Kalifornien, das WM-Finale gegen Schweden gewinnen.

Elogen allenthalben, euphorische Trailer in der ARD, der DFB-Präsident ist in diesen Stunden nach Carson unterwegs. der Innenminister will fernsehen. Und Fußball-(also: Männerfußball-)journalisten laden sich überraschend sonntags bei mir ein, um „das Spiel anzuschauen“. Schnell werden die üblichen Worte rausgeschleudert: Das sei jetzt aber der endgültige nationale Durchbruch für die bisher vor sich und etwa 100 Zuschauern pro Bundesligaspiel hinvegetierende Sportart.

Quatsch mit Soße.

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Das Wichtigste über Frauenfußball in Kürze:

1. Es ist trotz identischer Regeln eine eigene Sportart.

2. Man darf sie nie, nie, nie mit Männerfußball vergleichen.

3. Frauenfußball ist ein junger Sport mit wenig Geschichte und praktisch keinen Mythen – sieht man mal ab vom freigelegten Sport-Beha von Brandi Chastain nach dem WM-Gewinn 1999.

Erst wer das begreift, kann die intradisziplinäre Dimension erkennen. Offenbar haben die deutschen Frauen in diesen Wochen den Sport auf ein neues Niveau gehoben. Ein Jahrzehnt kam der deutsche Kombinationsfußball nicht an gegen die Dynamik, Athletik und bessere Infrastruktur des US-Teams. Mit dem 3:0 im WM-Halbfinale hat die neue deutsche Mischung aus Tempo, Taktik und Kreativität die vormals amerikanische Definition von Topfußball überholt. Der deutsche Fußball ist Weltmarktführer, ist taktisch auf der Höhe und hat die besten und am besten ausgebildeten Spielerinnen. Die Ironie besteht darin, dass das eine Situation ist, die man in Deutschland gern mit den Männern verbinden würde – und die die nie mehr erreichen werden – unabhängig davon, ob sie sich heute gegen Island für die EM qualifizieren.

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An heißen Tagen saß ich in den letzten Sommern bisweilen im Spartan Stadium von San José, Kalifornien, und sah Frauenfußball.

Großartig.

Kein Wunder: In den acht Teams der Women’s United Soccer Association (Wusa) spielten drei Jahre lang die meisten der besten Fußballerinnen der Welt. Das gab der Sportart einen entscheidenden Schub. Tempo, Physis, Athletik hatte die Liga immer: Doch in diesem Jahr wuchs mit dem Einfluss des europäischen Fußballs auch das technische und taktische Niveau. Das sei jetzt „ schon richtig Fußball“, sagte die deutsche Nationalspielerin Maren Meinert. Und die ist selbstkritisch.

Meinert (Boston) und Birgit Prinz (Carolina) stehen in diesen Tagen als die besten Fußballerinnen der Welt da. Ihre Professionalität und die Internationalität ihres Spiels verdanken sie der Wusa. Deren Fortbestand ist derzeit aber nicht gesichert. Die Verluste der aus der Unterhaltungsbranche kommenden Investoren waren auf 80 Millionen Dollar angewachsen. Kurz vor WM-Beginn drückten die alten Männer die Stoptaste.

Dabei gibt es einen Markt für den Frauensport: Familien, Mütter, vor allem solche mit Töchtern – und obwohl darüber nicht geredet wird, auch Lesben. Die Frage ist nur, ob er groß genug ist. 6.600 Zuschauer hatte die Wusa im Schnitt, das ist gut, aber nicht genug. Und Fernsehquoten gehen gegen null. Weil: Die klassischen, männlichen Sportkonsumenten waren nicht zu bekommen.

Es wäre ein Schlag für den Frauenfußball weltweit, wenn es mit der Wusa nicht doch weiterginge. Ohne Wusa kein Fortschritt – für das Spiel. Für Frauen im Sport.

Meinert bekam in ihrer Zeit in Boston immer wieder erzählt, dass „für ganz viele Mütter und Kinder ein Traum wahrgeworden ist“. Man muss das sehen: Die Wusa und die Basketball-Liga WNBA sind die beiden einzigen Frauen-Profiteamligen der USA. Dort und nur dort sind Frauen handelnde Personen: Spieler, Trainer, Manager. Beide eint zudem ein positives Image: kaum Skandale, wenig Arschlöcher.

Wenn man in San José nach Spielschluss in die Autogrammzone ging, sah man hunderte warten. Dann kamen ihre Stars, lachten, waren superfreundlich und schrieben Autogramme. Bis auch das letzte kleine Mädchen glücklich und zufrieden nach Hause gehen konnte. Wer die Zustände und Manieren in großen Profimännerligen kennt, weiß, was für eine Idylle das ist. Fast zu schön.

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Wer nun glaubt, mit diesem WM-Finale würde sich irgendwie Entscheidendes ändern, dream on: Die klassischen, männlichen Fußball- und Sportkonsumenten, all die Wagners, Schilys, Mayer-Vorfelders werden nach diesem WM-Finale ihrer Wege gehen. Die Frauen müssen es selbst hinkriegen.

Fragen zu deutschem Fußball auf Weltniveau?kolumne@taz.de