Auf Zeugenaussage folgt Mord

Erneut wird ein Brasilianer wegen seiner Aussage gegenüber einer UNO-Anwältin getötet. Die Regierung teilt die Kritik am Justizwesen und gerät unter Druck

PORTO ALEGRE taz ■ Gérson Jesus Bispo hat seine Aussage gegenüber der UNO mit dem Leben bezahlt. Am Donnerstagmorgen streckten zwei vermummte Männer auf einem Motorrad den 26-jährigen Mechaniker mit mehreren Schüssen nieder. Vor drei Wochen hatte er der pakistanischen Menschenrechtsanwältin Asma Jahangir geschildert, wie Militärpolizisten im vergangenen Jahr einen Bruder und einen Freund ermordet hatten. Die Polizei der 90.000-Einwohner-Stadt Santo Antônio de Jesus im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia blockierte die Ermittlungen, die Hauptverdächtigen wurden in die Landeshauptstadt Salvador versetzt. Wie die Todesschwadronen in Santo Antônio und anderswo funktionieren, hatte die Menschenrechtsgruppe Justiça Global im September ausführlich dokumentiert.

Damit wird die Mission Jahangirs erneut von einem Mord überschattet. Bereits vor zwei Wochen war im nordöstlichen Staat Paraíba eine anderer Zeuge unter ähnlichen Umständen erschossen worden. Drei Wochen lang war Jahangir als UNO-Berichterstatterin für außergerichtliche Hinrichtungen durch Brasilien gereist, um sich ein Bild über Polizeigewalt und die Verhältnisse in Gefängnissen zu machen.

Dabei bekam die zierliche Anwältin den Argwohn brasilianischer Behörden fast täglich zu spüren: Zu einem Jugendgefängnis in São Paulo erhielt sie erst im zweiten Anlauf Zutritt. Nach dem Vorwurf, sie sei mit „vorgefassten Vorstellungen“ angereist, forderte sie den Direktor der berüchtigten Jugendknäste heraus: Wenn er nichts zu verbergen habe, solle er doch eine Visite zusammen mit Journalisten genehmigen.

Beim abschließenden Treffen mit Präsident Lula am Mittwoch kündigte Jahangir an, sie werde die Entsendung internationaler Beobachter vorschlagen, die das Justizsystem unter die Lupe nehmen sollten. Dass Justizminister Márcio Thomaz Bastos, Präsidialamtsminister José Dirceu und schließlich Lula selbst hinter dieser Forderung stehen, löste bei hohen Juristen und konservativen Parlamentariern einen Sturm der Entrüstung aus. Als „ungehörige, unpassende und unglückliche Einmischung von jemandem, der die Funktionsweise der brasilianischen Justiz nicht kennt“, wertete der Oberste Bundesrichter Maurício Corrêa die Empfehlungen Jahangirs. Der brasilianische Richterverein sieht gar die Souveränität Brasiliens in Gefahr. Für die Straflosigkeit seien die Polizeibehörden und Staatsanwälte der Bundesländer und somit die Exekutive verantwortlich.

José Dirceu bezeichnete die Attacken der Richterszunft als „Sturm im Wasserglas“ und konterte, es habe keinen Sinn, Folter und Mord verstecken zu wollen. Dabei will die Bundesregierung mit gutem Beipiel vorangehen und endlich einen Gesetzentwurf wiederbeleben, demzufolge schwere Verbrechen auf Bundesebene untersucht und geahndet werden sollen – eine alte Forderung von Aktivisten der Arbeiterpartei. Justizminister Bastos ordnete an, für die Ermittlungen gegen die Todesschwadronen von Santo Antônio de Jesus, die für 40 Morde verantwortlich sein sollen, sei jetzt die Bundespolizei zuständig.

Rückhalt für ihre Position, die Beteiligung der UNO als „Chance“ zu begreifen, bekam die Regierung von der sozialdemokratischen Opposition. Das eigentliche Problem liegt woanders: Lula und Dirceu schmieden seit Jahresbeginn eine breite Allianz mit jenen bürgerlichen Parteien und teilweise offen reaktionären Regionaloligarchien, aus denen der Widerstand gegen strukturelle Veränderungen am Staatswesen am heftigsten ist. So kann die Regierung im Kongress auf satte Mehrheiten zählen – vorausgesetzt, sie lässt alles beim Alten.GERHARD DILGER