Drucker nadeln sich frei

Die für den Nam June Paik Award 2004 nominierten Medien-Künstler zeigen ihre Arbeiten in der Dortmunder Phoenix-Halle. Einer von ihnen wird im Oktober um 25.000 Euro reicher sein

VON PETER ORTMANN

Turntables für Propeller, steuerbare Monitorbilder und ein geloopter Video-Shooter mitten unter langsam rostenden Artefakten der ehemaligen Stahl-Industrie: In der Dortmunder Phoenix-Halle streiten die für den NRW-Nam June Paik Award nominierten internationalen Medienkünstler wild flimmernd um das hoch dotierte Preisgeld.

Eigentlich kann man sich kaum von den farbigen Monitoren am Eingang losreißen. Paiks „Mercury“-Ensemble von 1991 ist immer noch eine visuelle Qualitäts-Hürde, die erst der Besucher, dann die Künstler dahinter überwinden müssen. Merkwürdige Töne und die Hoffnung auf den möglichen Evolutionssprung in der Medienkunst locken hinter die Stellage. Die beiden Japaner Kensuke Sembo und Yae Akaiwa haben ihr technisches Equipment für „exonemo“ wie wilde Tiere in Stahlkäfige gepackt. Drei Beamer und sechs Knöpfe laden zum Video-Hack via Bildmixer ein. Der User als VJ vor einer Videowall auf der Sequenzen von Found Footage, Archiv-Bildern und Live-Aufnahmen langsam oder irrwitzig schnell über die weiße Fläche zucken, je nachdem wie die Knöpfe des Turntable bewegt werden. Der künstlerische Zeitgeist mag befriedigt sein, doch die Netzhaut sehnt sich nach Ruhe. Der Zufallsgenerator im Gehirn wählt eine andere Box quer durch die Halle aus und findet so ein erstes Highlight der Ausstellung – „The User“ eine Video-/Klang-Installation (Quartett for dot matrix printers) der beiden Kanadier Thomas McIntosh und Emmanuel Madan. Mitten im White Cube steht ein drehbarer Bürostuhl. Der Rezipient wird ohne Zutun bespielt – von Uralt-Nadel-Druckern, die wie Ready-Made-Objekte unter Glas auf weißen Säulen stehen und über Mikrophone ihre computergesteuerte, mechanische Symphonie erklingen lassen. Pikanterweise hängt über dem Lauscher ständig der tonnenschwere Anker eines ehemaligen Decken-Krans, der das Lied, das in den Maschinen steckt, nackenprickelnd erhöht.

Erst seit 2002 verleiht die Kunststiftung NRW den biennalen Nam June Paik Award für Kunst mit elektronischen und digitalen Medien. Eine internationale Jury hat sieben Kunstkonzepte ausgewählt und für den 25.000 Euro Preis nominiert. Eine zweite Jury wählt den Preisträger und einen Förderpreisträger aus. Mit dem zweithöchsten Medienkunstpreis in Deutschland sollen weltweit renommierte Künstlerinnen und Künstler nach NRW gelockt und ein breiteres Interesse an dieser Kunstsparte geweckt werden. Dafür ist der Libanese Lucien Samaha gleich vor Ort geblieben und wartet auf die Preisvergabe im Oktober. Auch wegen des high-end Design-Equipments, das ihm in der Halle zur Verfügung gestellt wurde, wie er lachend zugibt. Denn das könne er sich persönlich nicht leisten. Er arbeitet seit Jahren an seinem digitalen Bilder-Archiv, das er mal in Zeitschriften oder in Online-Portalen präsentiert. In dem ehemaligen Reserveteillager des stillgelegten Hochofengeländes wird das Material auf zwei Wände projiziert und live gemischt. Schnappschüsse aus seiner Wahlheimat New York, Aufnahmen von Freunden, Nachtleben und grüne Landschaften – alles verappled er gezielt auf drei riesigen Monitoren.

Ein letzter Blick fällt auf die endlos über das Blau des Himmels rasenden Vögel von Szabolcs KissPál aus Ungarn, dann schnell noch einmal Wallfahrts-Gang zu Meister Paik – die Evolution hat noch nicht begonnen.