Axel Brauns stellt im Literaturhaus seinen Roman-Erstling „Kraniche und Fledermäuse“ vor
: Manische Verkapselung

„Buntschatten und Fledermäuse“ heißt die Autobiographie Axel Brauns, die vor zwei Jahren erschien; „Kraniche und Klopfer“ lautet der Titel seines ersten Romans, den er jetzt im Literaturzentrum vorstellt. In beiden Fällen markiert das „und“ im Titel keine Verbindung, sondern eine Grenze, eine Teilung der Welt, um sich in ihr orientieren zu können: Brauns ist Autist, und als Kind unterschied er zwei Arten von Menschen – die guten Buntschatten und die bedrohlichen Fledermäuse. Es war sein Blick heraus aus der emotionalen Abschottung von der Umwelt, die der Autismus bedeutet.

Dem Motiv der Isolation geht Brauns auch in seinem Roman nach. Und auch für das Mädchen Adina teilt sich die Welt: in das Böse der Klopfer-Menschen und die Schönheit der Kraniche. Die Familie Adelung – Adina, ihre Mutter Carla und ihr Bruder Bolko – lebt in einem gutbürgerlichen Haus in Hamburg. Das „Adelunghaus“ ist eine Welt für sich. Hier stapeln sich Kisten mit sprechenden Namen wie „Ist das schön“, „Das will ich mir noch angucken“ oder „Das kann man doch nicht wegwerfen“. Kisten, zwischen denen die Kinder toben. Für alle anderen aber, die „Klopfer“ nennt sie die Mutter, ist das Haus tabu. „Du darfst niemals Klopfern etwas über unser Zuhause erzählen“, mahnt die Mutter bei Adinas Einschulung.

Langsam entfaltet Brauns die Ausmaße einer familiären Tragödie: Clara leidet an Müllsucht. Sie kann Dinge nicht wegwerfen, sammelt immer mehr, bis alle Räume unbetretbar sind. Nicht nur vor dem immer wieder in Angriff genommenen „Aufräumen“ kapituliert sie. Sie vernachlässigt die Kinder bis zur Verwahrlosung. Man erfährt dies indirekt, durch die Demütigungen, die Adina ertragen muss, „Stinki“ rufen sie die anderen Kinder. Für das Mädchen eine Bestätigung: Vor den Klopfern muss es sich hüten.

Nach dem Tod des Bruders wird alles noch schlimmer, Adina ist einsam, die Mutter versinkt in Apathie. Einfühlsam schildert Brauns den Konflikt Adinas, das Zerrissenwerden zwischen Solidarität zur Mutter und den Versuchungen der Klopferwelt. Denn gegen die Zuneigung zur netten Nachbarin Erla kommt Adina nicht an. Mit ihr entdeckt sie im Wald das Reich der Kraniche, fühlt sich wohl und aufgehoben. Von nun an wird sie alles Schöne mit den Kranichen assoziieren. Bei Erla gibt es köstliche Mahlzeiten, sie wäscht Adinas Kleider. Die Zustände im „Adelunghaus“ scheinen nicht mehr selbstverständlich, und die Sicherheit der Isolation bricht allmählich auseinander.

Brauns folgt in seinem Roman ganz der Perspektive Adinas. Eindringlich schildert er die ungeheure kindliche Anstrengung, sich in einer Welt zurechtzufinden, die ihre klare Einteilung verliert. Sprachlich streift er zu oft den Ton und Habitus eines Jugendbuches, das der Roman aber nicht sein will.

Über 60 Selbsthilfegruppen sogenannter „Messies“ gibt es in Deutschland. Das Chaos in ihren Wohnungen ist oft Symptom einer Überforderung, die sich angesichts der nicht zu bewältigenden Unordnung ständig reproduziert. Das Gefühl der Lähmung, des Nicht-Handeln-Könnens geht einher mit Scham und Abkapselung.

Brauns flicht diese Kenntnisse dezent ein. Allein durch die Blicke Adinas zeichnet er auch das Unglück ihrer Mutter. Das ist erzähltechnisch fein gemacht. Und bedürfte nicht noch des letzten Schicksalsschlags, den der Roman am Ende bereithält.

Carola Ebeling

Axel Brauns: „Kraniche und Klopfer“. Hamburg, 2004, 304 S., 21,95 EuroLesung: 22.9., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38