Zwangsarbeit aus Kölner Archiv gelöscht

Ein ehemaliger Zwangsarbeiter aus der Ukraine erzählt von seiner Zeit am Rhein. Solche Erinnerungen sind auch für die Forschung wertvoll. Denn Schriftliches aus der NS-Zeit ist rar. Aus vielen Akten wurde nach Kriegsende Altpapier

KÖLN taz ■ Als Wassilij Kutscher einmal angefangen hatte, sprudelte es nur so aus ihm heraus: Wie er 1942 aus seinem Dorf bei Kiew verschleppt und von seinem Bruder getrennt wurde, wie er in Stettin Steine schleppen musste und schließlich über Berlin, Wuppertal und Aachen nach Köln kam. Dass er hier für die Organisation Todt Brücken reparieren musste. Und wie er dabei war, als nach und nach alle damals existierenden drei Kölner Rheinbrücken einstürzten: zuerst die „Adolf-Hitler-Brücke“, heute Rodenkirchener Brücke, dann die „Hindenburg-Brücke“, jetzt Deutzer Brücke, schließlich die Hohenzollern-„Eisenbahnbrücke“, die gesprengt wurde, kurz bevor die Amerikaner den Rhein erreichten.

Kutschers Erzählung am Mittwoch Abend im Kölner Filmhaus machte den Zuhörern auf eindrucksvolle Weise deutlich, warum es wichtig ist, ehemalige Zwangsarbeiter wie den 78-jährigen Ukrainer einzuladen. Für sie selbst, um diesen „entscheidenden Einschnitt in ihrer Biographie“ aufarbeiten zu können, wie Ursula Reuter von der Projektgruppe Messelager betonte. „Durch das Besuchsprogramm erfahren sie endlich die ihnen zustehende Würdigung.“ Und für die Kölner, „weil wir aus ihrer Erinnerung Wichtiges erfahren.“ Trotzdem droht dem Besuchsprogramm wegen Geldmangels das Aus, beklagte Reuter. „Wir sollten jetzt, kurz vor der Kommunalwahl, noch mal überlegen, wie man das retten kann.“

Tatsächlich sind die Besuche auch für die Erforschung der Kölner Stadtgeschichte bedeutsam, bestätigt Karola Fings, stellvertretende Direktorin des NS-Dokumentationszentrums. 3.000 bis 4.000 Fotos aus der Kölner Kriegszeit hätten die bislang 350 Gäste des Programms mitgebracht. Ihre Berichte über Firmen, Bauernhöfe und Privatleute seien „wichtige Quellen für die Alltagskultur“. Zumal die meisten schriftlichen Zeugnisse der Kölner NS-Zeit verloren sind: durch „Kriegseinwirkung“ oder weil Firmen ihre Unterlagen „entsorgt“ haben. Aber auch die Stadtarchivare hätten nach 1945 viel vernichtet, was sie für „nicht überlieferungswürdig“ gehalten hätten, so Fings. „Nach dem Krieg war etwa Zwangsarbeit ein Thema, mit dem man nichts mehr zu tun haben wollte.“ Die Archivare hätten also auch bewusst „vorzensiert“.

So verlor Köln seine „Volkskartei“, die Daten über jeden Kölner enthielt – auch über Zwangsarbeiter. In der papierarmen Nachkriegszeit gaben die Archivare sie frei: aus den Akten wurde Altpapier. Susanne Gannott