Village Voice
: Freundliche Experimente: Mit Minit lässt sich Musik wirklich erfahren, während Olaf Hund solche Präsenz nur behauptet

Minit: „Now right here“(Staubgold/Hausmusik)

Gleich mal das Stoppschild in den Boden gerammt: Für Menschen, die sich beim Hören keine Zeit gönnen, ist das nichts. Brauchen gar nicht weiterlesen. Wobei doch seltsam ist, dass man seinem Ohr so selten gönnen will, was dem Auge zugestanden wird. Einfach mal schauen. Wie sich Wellen mit Sonnenreflexen mengen im Meer. Wie eine Wolke in stets sich ändernder Form doch immer Wolke bleibt. Und gerade nicht als Entspannungsübung. Nur einfach so.

„Now right here“ von dem australischen, in Berlin lebenden Duo Minit beginnt mit einem langsam anschwellenden Ton. Nein, falsch! Genauer hinhören. Anschwellenden Tönen, die sich sacht umarmen, aneinander schmiegen. Und doch nicht wirklich zur Melodie werden. Eine flirrende Musik. Höflich auch. Wenn man seine Aufmerksamkeit mal auf einen bestimmten Ton bündeln möchte, scheinen die anderen freundlich zurückzutreten, während fast unmerklich der Lautstärkepegel nach oben geschoben wird und sich das Klingen und Surren zu mächtigen Drones fügt. Empfohlene Rezeptionshaltung: liegend, im Dunkeln, mit Kopfhörern.

Das liest sich nun entschieden weltabgeschiedener als die Musik gemeint ist, diese vier Exkursionen in Psychoakustik, weil mit diesem Album bestens (und höchst unterhaltsam) experimentell erfahren werden kann, wie Musik wirkt. Wie sie in den Körper dringt, wenn man sich ihr anvertraut (wie man seinen Körper einer Massage anvertraut). Sie schwemmt Schlacken weg und sorgt für alleinige Präsenz. Sacht. Präzise. Was zu eigenartigen Resonanzen führt: dass man zum Beispiel auch mal weghören kann und die Musik dennoch bleibt, im memorierenden Vibrieren ihrer Partikel. Dass ihre wirkliche Abwesenheit dann aber als schmerzlicher Entzug empfunden wird. In diesem Sinne ist „Now right here“ schon Soma (die Glücksdroge), das aber eben daran erinnert, wie essenziell mit Musik definierte Zeit und Raum erlebt werden können.

Also Sachverhalte, die Musik ansonsten meist nur behauptet. Was dann die Stimmungshuberei ist. Mit dem Knistern einer Einlaufrille lässt Olaf Hund sein Album „Valseuses“ (Lounge Records/SIB Distribution) beginnen. Ein augenzwinkerndes „Es war einmal“. Genauso augenzwinkernd wird gleich mit einem Charleston gescratcht. Es gibt Boleros, Rondos, Tangos, etwas Geige, Akkordeon und viel Elektronisches, für eine Art Schatzsuche bei den Formen einstiger Populärmusik. Auch Hund, der Franzose in Berlin, ist minimalistisch geschult, mit seiner Musik soll man entspannen: „Let your imagination guide you. This music is yours, that of your inner film, your inner self.“ Aber was soll einem zu gepflegtem Electro anderes einfallen als die Illustriertenbilder von tanzenden Menschen. Wenn die Musik deutlicher die historischen Tanzmodelle herausstellt, ist es eben wie ein Blättern in alten Fotoalben. Vorgestanzte Bilder. Fantasie funktioniert anders. So bleibt „Valseuses“ eine technisch einwandfreie Bastelarbeit. Dass Electro auch mit betagten Tanzformen kann. Spannend aber ist das nicht und so romantisch wie eine Packung Mon Cherie. THOMAS MAUCH