Sackgassen aufschließen

Keine Angst vor Grabgestaltung: Wie der Bildhauer Thomas Schütte dort ansetzt, wo die Kunst vor dem Klischee in die Knie gegangen ist, kann man nun in der Galerie carlier gebauer nachvollziehen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Was für ein Körper, welch gewaltiger Hintern! Von hinten nähert man sich der „Bronzefrau 13“ des Bildhauers Thomas Schütte, die mit gedrehtem Kopf und gespannten Halsmuskeln in ihrer glatten Metallhaut auf einem Tisch aus Eisen hockt. Ihre Position im Raum ist eigenartig: so geduckt, als ob eine Weltkugel zwischen ihren Schulterblättern lasten würde, und so vorgebeugt, als ob sie auf dem Dach einer Kathedrale sitzen würde. Monumental und mit offensichtlicher Freude an der Gestaltung von Masse ist ihr überlebensgroßer Körper geformt; bedeutungsschwer und pathetisch aber, wie man das von figürlichen Großplastiken noch immer erwartet, ist sie nicht.

Größe und Bedeutung: Das eine und das andere immer zusammenzudenken, ist in der Geschichte der Skulptur eine hartnäckige Tradition. Die symbolische und oft auch ideologische Besetzung der figürlichen Großplastik, im Klassizismus zum Beispiel und dann wieder im Nationalsozialismus und Stalinismus, hat zu einer Stigmatisierung der monumentalen Figur in der westlichen Moderne geführt. Solche Belegungen von Formen mit historischen Bedeutungsmustern aufzubrechen, gelingt Thomas Schütte. Zum einen, wie man jetzt in seiner Ausstellung in der Galerie carlier gebauer verfolgen kann, weil er die oft zum Klischee erstarrten Zuordnungen von Motiv und Form im einzelnen Werk unterläuft, zum anderen aber, weil er verschiedene Werkserien nebeneinander setzt. Der Vergleich ist das Mittel, mit dem er das Denken in Bewegung bringt.

Im Raum vor der „Bronzefrau“ steht das „Kriegerdenkmal“: Die Gattungsbezeichnung ist hier zum Titel geworden. Aber noch vor jedem Erkennen unterläuft die Skulptur durch ihre Winzigkeit die damit erzeugten Erwartungen. Das Spiel mit dem Maßstab wird ein zweites Mal gebrochen, weil zu dem „Kriegerdenkmal“ ein Spielzeugtrabi gehört: Zusammen wird beides zur Modelllandschaft. Die Körper des „Kriegerdenkmals“ schält das Auge erst langsam aus einem verschlungenen, verworrenen Klumpen heraus. Was da liegt, ist auf jeden Fall durch das Feuer gegangen, deformiert und geschmolzen. Die Technik des Bronzegusses, ihre bedrohliche Hitze, das Fließen des Metalls, scheint noch gegenwärtig. Erst langsam entdeckt man darin das Motiv des Todes, erkennt die Glieder, die Schädel, die ausgebrannten Augenhöhlen. Es ist ein Tod, dem man sozusagen nicht ins Antlitz sehen kann, der kaum noch erkennen lässt, was war, und darum doch in seiner Grausamkeit erfasst ist. Dennoch ist das „Kriegerdenkmal“ kein Denkmal: sondern Skulptur, die sich, was in der Geschichte öffentlicher Auftrag war, als subjektive Form von Trauer und Erschrecken aneignet.

Zwei große Ausstellungen von Thomas Schütte gingen im September in der Hamburger Kunsthalle und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zu Ende. Er ist ein Schüler von Gerhard Richter und teilt mit diesem die Strategie, verschiedene Handschriften und verschiedene Konzepte nebeneinander zu entwickeln. Oft öffnet er dabei Sackgassen oder macht Wege wieder gangbar, die ausgefahren schienen. Dass dies nicht ohne ein selbstironisches Spiel mit dem Status als autonomer Künstler geschieht, zeigt bei carlier gebauer die Serie von Radierungen „Quengelware II“.

„Quengelware“ ist angelegt wie ein Tagebuch, eine Folge von gesammelten Notizen, sensualistischen Eindrücken, eingestreuten Wortspielen. Ihr anekdotisches Konzept schlägt einen Ton an, den Schütte schon in einem anderen Genre verfolgt hat, in der modellhaften Installation. Da formte er sogar mal sein „Grab“, als Modell, das er dann auch als Bild malte – und das wie ein rotes Giebelhaus aussah. Grabgestaltung, ein gewerblicher Ableger der Bildhauer, ist für die Künstler oft mit vielen Berührungsängsten belegt. Es ist nicht zuletzt der unverkrampfte Umgang mit solchen Tabubereichen wie Auftragskunst und Kunstgewerbe, mit dem Schütte neues Land gewinnt.

Thomas Schütte, carlier gebauer, Holzmarktstr. 15–18, 10179 Berlin, bis 16. Oktober, Di.–Sa. 11–18 Uhr