stämmig, verzeigt und gebüsst von WIGLAF DROSTE
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Die Schweiz verströmt einen kulinarischen, sprachlichen und journalistischen Luxus, von dem sich die deutschen Gürtelengerschnaller und Geizgeilfinder täglich mehr entfernen. Am Freitag, dem 10. September meldet die im Kanton Graubünden erscheinende Regionalzeitung Die Südostschweiz unter der Überschrift „Pilzfrevler aus Italien erwischt“ diese Geschichte:

„Trotz Schonzeit haben mehrere Personen gestern und am Mittwoch an verschiedenen Orten im Kanton Pilze gesammelt und dabei auch weit mehr als die erlaubte Menge von zwei Kilo pro Person und Tag mitgenommen. Wie die Kantonspolizei Graubünden mitteilte, wurden auf der Alp Flix oberhalb Sur gestern drei Personen erwischt, die insgesamt 52,5 Kilo Pilze gesammelt hatten. Am Tag zuvor waren am gleichen Ort zwei Personen mit neun Kilo Steinpilzen kontrolliert worden. In Nufenen wurden zwei Männer gestern mit elf Kilo Steinpilzen angehalten, und auf der Lenzerheide musste ein Pilzsammler am Mittwoch acht Kilo Steinpilze abgeben. Bei all diesen Pilzsammlern handelte es sich um Italiener. Sie wurden verzeigt und mussten Depots von jeweils mehreren hundert Franken hinterlegen.“

Als ich das las, musste ich beinahe weinen: 52einhalb Kilo Steinpilze! Und jeder Schweizer darf zwei Kilo Steinpilze pro Tag sammeln – das macht bei einer Schonzeit von zehn Tagen im Monat in Graubünden pro Gierschlund immer noch 40 Kilo im Restseptember. 40 Kilo stattliche Gnubbelmänner: So sieht das Paradies aus – in das aber nicht unbefugt eingedrungen werden darf, nicht in der ordentlichen Schweiz. Kriminelle hat es zwar eigentlich keine im Land der schneeweißen Westen; wenn es aber doch welche gibt, handelt es sich garantiert um Italiener. Kriminelle sind in der Schweiz Italiener, immer. Sollten einmal ausnahmsweise keine Italiener zur Hand sein, sind die Kriminellen wenigstens „italienischstämmig“. Ein schönes Wort, italienischstämmig: Man sieht stämmige Italiener vor sich, rund und knuffig gebaut, weil das Glück nun einmal nicht dürre, mager und klapprig sein kann.

Der nicht ertappte, sondern wie im „Räuber Hotzenplotz“ von Wachtmeister Dimpfelmoser noch nach guter alter Art „erwischte“ Kriminelle wird in der Schweiz nicht angezeigt, o nein: Er wird verzeigt. Da ist der autoritär tadelnde Zeigefinger noch mit im Wort, und nach dem Verzeigtwerden wird man in der Schweiz nicht bestraft – man wird gebüsst! Das ist unmissverständlich, klar und unlabbrig: Sie haben Pilze gefrevelt? Sie werden gebüsst! So aufregend lebt es sich in der Schweiz: stämmig, verzeigt und gebüsst.

Der Schweizer parkt nicht, er parkiert. Er zieht auch nicht um, sondern zügelt. Und noch etwas haben die Schweizer, um das ich sie sehr beneide. Das ist der Zustupf. Ein Zustupf ist ein Zubrot, eine zusätzliche finanzielle Zuwendung. Zustupf, o ja, Zustupf, Zustupf, Zustupf! Ich sehe meine Omma vor mir, wie sie mir etwas zu schlickern, ein Geldstück oder ein Klöpschen zusteckt, nein: zustupft. In einer Welt ohne Zustupf zu leben ist sinnlos, dann kann man es besser gleich lassen. So – und jetzt möchte ich bitte einen Zustupf von 40 Kilo Steinpilzen, herbeigetragen über die Alp Flix von stämmigen Männern aus Italien.