Fast einer wie Tell

Die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft schlägt Irland mit 2:0 und qualifiziert sich direkt für die EM in Portugal. Zu verdanken hat sie das Anton Kuhn, dem Trainer. Der ist ab sofort ein Nationalheld

aus Basel TOBIAS SCHÄCHTER

Als Spieler war er der Mann mit „Honig an den Füßen“. Jetzt, als Trainer, liegt ihm eine ganze Nation zu Füßen. Und sie blickt durch riesige O-Beine. Anton Kuhn, der Trainer der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft, dieser einfache Mann aus dem Zürcher Stadtteil Wiedikon, den alle nur „Köbi“ nennen und der aussieht wie sein eigenes Denkmal, weitet den sportlichen Horizont eines ganzen Landes. Als am Samstag gegen 19.20 Uhr das letzte und entscheidende Spiel in der Qualifikationsgruppe 10 zur Fußball-Europameisterschaft 2004 in Portugal vom Schweden Anders Frisk endlich abgepfiffen wurde, der 2:0 Sieg gegen Irland also endlich hemmungslos gefeiert werden durfte, da verwandelte sich der St.-Jakob-Park in Basel jedenfalls in ein einziges rot-weißes Fahnenmeer, und der Köbi, ja, der Köbi wurde von seinen Spielern auf Schultern Ehrenrunde um Ehrenrunde durch die Arena getragen.

Die Schweiz nimmt an der Fußball-Europameisterschaft in Portugal teil – sie hat sich sogar direkt dafür qualifiziert. Und wieder war es ein 11. Oktober, also auf den Tag genau jenes Datum, an dem sich vor acht Jahren eine Schweizer „Nati“ zum letzten und bis vorgestern einzigen Mal für eine kontinentale Endrunde qualifizieren konnte. „Ein großer Tag für den Schweizer Fußball“, schwelgte der Fernsehkommentator der Eidgenossen, und die Neue Zürcher Zeitung sah die Schweiz in ihrer Schlagzeile gar „am Ende ihrer Träume“. Und was sagte dazu der Köbi, der große Sieger, dem fast 30.000 aus voller Brust schon einen Tag vor seinem 60. Geburtstag ein sanftes „happy birthday“ in die Seele hauchten? Er sagte: „Ich bin glücklich über das Resultat, wie sollte das auch anders sein?“

Das ist Anton Kuhn, ein Schweizer Held. Und dieses historische Ereignis, nach langen Jahren des Darbens so sehr herbeigesehnt von den fußballbegeisterten Menschen von Basel bis Zürich, ist sein Erfolg. Denn bevor der ehemalige Juniorentrainer des Verbands und Spieler des FC Zürich vor zwei Jahren die Eliteauswahl übernahm, hatten fünf Trainer erfolglos und oft auch kläglich versucht, den Schweizer Fußball nach der Ära Roy Hodgson (1996) wieder zu einem großen Turnier zu führen. Ausgerechnet dem Köbi, dessen Inthronisierung nicht wenige mit einem Kopfschütteln kommentiert hatten, gelang nun genau dies. Davor hatte der medienscheue Mann, der so gar nicht in die kapitalisierte Welt des Kommerzfußballs zu passen scheint, freilich viele Stürme zu überstehen. Gleich zu Beginn, nachdem er sich mit Altgedienten angelegt und Ciriaco Sforza aus dem Kader geworfen hatte, beispielsweise eine Kampagne des Schweizer Boulevardblatts Blick. „Er ist der Größte, für mich gibt es keinen Besseren. Er hat zu 99,9 Prozent richtige Entscheidungen getroffen“, preist ihn sein Kapitän und Torhüter Jörg Stiel von Borussia Mönchengladbach, der das Spiel heldenhaft mit einem Kopfverband zu Ende spielte und dabei aussah wie eine Mischung aus Catweazle und Elefantenmensch.

Helden. In der Schweiz gibt es auch einen Knöchel der Nation. Er heißt Hakan Yakin, sein Einsatz war wegen eines Kapselrisses bis zuletzt ungewiss, und der Köbi weiß nicht, ob der jetzt so schnell wieder spielen kann. Als Hakan Yakin aber in der 55. Minute ausgewechselt wurde im Stadion des FC Basel, in seinem Stadion, war der Applaus donnernd und nicht enden wollend. Schon nach sechs Minuten, der Einstieg war so rasant wie das ganze Spiel, hielt Yakin seinen lädierten Knöchel hin – zum 1:0. Alexander Frei von Stade Rennes schließlich entschied die Partie, die hin- und herwogte, nach einer Stunde.

Endlich waren die in den letzten Spielen schwächelnden Schweizer wieder als Familie aufgetreten, der Sieg gegen glücklose Iren demnach verdient. Dabei hatte es vor dem Spiel noch Gerüchte gegeben, der Hausfrieden hänge schief im Schweizer Lager. Murat Yakin gegen Henchoz. Der Köbi setzte Henchoz auf die Bank – und gab Differenzen hernach zu. „Der Wille und die Geschlossenheit waren heute ausschlaggebend“, erklärte Kuhn, nachdem alles gut geworden war.

Die Zukunft scheint ohnehin rosig. Zusammen mit Österreich ist die Schweiz Gastgeber der EM 2008, zudem besteht nun die Chance, sich in Europas Spitze zu etablieren. Denn die Talente sprießen aus dem Schweizer Boden wie Loblieder auf den Köbi: Die U 17 gewann vor zwei Jahren die Europameisterschaft, die U 21 errang im gleichen Jahr die Vizeeuropameisterschaft, und der FC Basel mischte im letzten Jahr die Champions League auf. „Die Ideen und das Fundament für die Zukunft sind gelegt“, sagt Kuhn, auch wenn er unvermindert zu bedenken gibt, dass die Schweiz nur ein kleines Fußballland sei.

Immerhin: Der Fernsehvertrag läuft bis 2006, und die Credit Suisse zahlt bis 2008 jährlich 3,3 Millionen Franken an den Verband, wovon die Hälfte in den Nachwuchs fließt. Mit Erfolg: Am Samstag debütierte der 22-jährige Marco Streller vom FC Basel, der schon in Portugal den alternden Stephane Chapuisat ersetzen könnte. Auf den T-Shirts der Sieger am Samstag stand jedenfalls: „Wir kommen“. Dank Köbi, einem Schweizer Denkmal.