Massenflucht vor neuen Kämpfen im Kongo

Regierungsoffensive im Ostkongo vertreibt Zehntausende, vor allem Angehörige der ruandischstämmigen Minderheit

BERLIN taz ■ Die anhaltenden Kämpfe zwischen verfeindeten Militäreinheiten im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben zehntausende von Menschen in die Flucht getrieben. Von 35.000 bis 175.000 reichen die unbestätigten Angaben, die gestern unter internationalen Hilfswerken zirkulierten. Der Gouverneur der Provinz Nord-Kivu, Eugène Serufuli, sprach von 100.000 Vertriebenen unter der ruandischstämmigen Bevölkerung seiner Provinz. Zuvor hatte die UN-Mission im Kongo (Monuc) für die Nachbarprovinz Süd-Kivu die Zahl von 150.000 Flüchtlingen genannt.

Hintergrund der Wirren ist die Offensive, die der regierungstreue Armeekommandant von Süd-Kivu, Mbuza Mabe, Ende letzter Woche gegen den abtrünnigen ruandischstämmigen General Laurent Nkunda startete. Nkundas Basis Minova, die an der Grenze zwischen den Provinzen Süd-Kivu und Nord-Kivu liegt, fiel am Wochenende kampflos an die regierungstreuen Truppen. Diese bestehen weniger aus regulären Soldaten denn aus lokalen Mayi-Mayi-Milizen, die seit Jahren gegen die ruandischstämmige Minderheit im Ostkongo kämpfen.

Damit nimmt der Krieg, der von Kongos Armeeführung als Strafaktion gegen Meuterer dargestellt wird, vor Ort die Form eines ethnischen Konflikts an. Dies erklärt, warum viele nicht direkt von den Kampfhandlungen betroffene Angehörige der ruandischstämmigen Bevölkerung jetzt auf der Flucht sind. „Die Leute sind in der Vergangenheit dafür bestraft worden, dass sie mit Nkunda im Verbindung gebracht wurden“, erklärte Nord-Kivus Provinzgouverneur Serufuli. „Also packten sie ihre Sachen und gingen, als sie die Militärs kommen sahen.“

Dies weckt zugleich Ängste, dass der eigentlich auf Süd-Kivu begrenzte Vorstoß der Regierungsarmee gegen einen rebellierenden Kommandanten auf Nord-Kivu übergreift und zu einem größeren Krieg eskaliert. Denn die Kommandanten der Regierungsarmee in Süd- und Nord-Kivu entstammen rivalisierenden politischen Lagern und sind miteinander verfeindet. Während die Regierungsarmee Süd-Kivus gemeinsam mit den Mayi-Mayi gegen ruandischstämmige Dissidenten kämpft, steht sie in Nord-Kivu unter ruandischstämmigem Kommando und liegt mit den Mayi-Mayi in Konflikt.

Die Mayi-Mayi haben aber ihre Aktivitäten nicht auf Süd-Kivu beschränkt, sondern sind auch in Nord-Kivu in die Offensive gegangen. Lokalen Quellen zufolge eroberten sie am Wochenende die Stadt Walikale, ein Zentrum des Mineralienhandels in Ostkongo. Auch dort ist der ruandischstämmige Teil der Bevölkerung auf der Flucht, und die Kämpfe dauern an. Ein italienisches Hilfswerk meldete aus einem einzigen Waldgebiet nahe Walikale 25.000 eingekesselte Vertriebene. DOMINIC JOHNSON