Merkel: Die Türkei soll draußen bleiben

Die CDU-Chefin sucht europaweit Verbündete für ihren Kurs gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei

Merkel stellt sich nicht nur gegen Rot-Grün, sondern auch gegen die Mehrheit ihrer Parteifreunde in Europa

BERLIN taz ■ Wer noch Einfluss darauf nehmen möchte, ob die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnimmt oder nicht, muss sich beeilen. In drei Wochen, wenn die EU-Kommission ihre Empfehlung abgibt, fällt die Vorentscheidung. Das letzte Wort haben zwar noch die Regierungschefs im Dezember, aber nach dem Kommissionsbericht am 6. Oktober dürfte klar sein, wie ihr Votum ausfallen wird.

Höchste Zeit also, um sich noch einmal einzumischen, befand die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und schrieb einen Brief an alle christdemokratischen Partei- und Regierungschefs in der EU. Darin bittet Merkel um Unterstützung für ihre Idee einer „privilegierten Partnerschaft“ mit der Türkei, also ihrer euphemistischen Umschreibung für ihr klares Nein zu einem EU-Beitritt. Mit dieser Haltung stellt sie sich nicht nur gegen Rot-Grün, sie nimmt damit auch unter ihren Freunden in der EU eine Minderheitenposition ein. Und selbst aus der eigenen Partei gibt es Kritik. So erinnerte Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe gestern daran, dass es die CDU-Regierung unter Helmut Kohl gewesen sei, die der Türkei einen EU-Beitritt in Aussicht gestellt habe.

Dass es Merkel nun, kurz vor Schluss, gelingen wird, die Kollegen für ihre Idee einer „Partnerschaft“ zu gewinnen, glaubt man nicht einmal in der CDU-Zentrale ernsthaft. Dort heißt es bescheiden: „Es ist ein Werben.“

Nur: „Die Frage einer privilegierten Partnerschaft stellt sich überhaupt nicht“, hieß es prompt aus Brüssel. Bei den Entscheidungen der EU, stellten Diplomaten klar, gehe es ausschließlich um die Frage, ob die Türkei die Kriterien für Beitrittsverhandlungen erfüllt hat, die von der EU vor zwei Jahren aufgestellt wurden. Bedenken, ob dies der Fall ist, gibt es nicht erst seit den Plänen der türkischen Regierungspartei, Ehebruch unter Strafe zu stellen, die gestern, in abgeschwächter Form, erneut vorgelegt wurden. Auch die Klagen von Menschenrechtlern über „systematische Folter“ bewogen EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen dazu, sich nicht noch nicht endgültig festzulegen.

Zustimmung für Merkels Vorschlag war bis gestern Abend trotzdem noch von keinem ihrer europäischen Ansprechpartner zu vernehmen. Für Italiens Silvio Berlusconi etwa zählt vor allem der Wunsch der USA nach einem EU-Beitritt der Türkei, für andere dürfte der wirtschaftliche Nutzen Vorrang haben. Auch Merkels potenzieller Koalitionspartner in Deutschland, die FDP, hält sich zurück. „Wir entscheiden erst über die Frage einer EU-Mitgliedschaft der Türkei, wenn der Bericht der Europäischen Kommission vorliegt“, sagte Fraktionschef Wolfgang Gerhardt der taz. Gerhardt wollte sich allerdings einen Seitenhieb auf Rot-Grün nicht verkneifen. Er befürchte „angesichts der Passivität von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer gegenüber den dramatischen Demokratiedefiziten in Russland, dass die Bundesregierung in puncto Menschenrechte auch bei der Türkei zu nachlässig ist“.

Ob nachlässig oder nicht – „der Schlüssel liegt in Frankreich“, glaubt ein CDU-Europapolitiker. Nur Jacques Chirac könnte noch eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen verhindern. Dies sei aber „eher unwahrscheinlich“. „Frau Merkel versucht nur, vor den Landtagswahlen am Sonntag nochmal auf den Putz zu hauen“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. LUKAS WALLRAFF