Querulanten gesucht

Sachsen und Brandenburger haben ein tiefes Bedürfnis nach Politikern, die wider den westdeutschen Stachel löcken. NPD und DVU müssen es nicht sein

VON NICK REIMER

Selbst für Ortsfremde ist es momentan leicht, die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Sachsen zu finden. „Schnauze voll“ ist auf der einen Seite plakatiert, „Wahltag ist Zahltag“ auf der anderen.

Die DVU in Brandenburg, die NPD im Freistaat: extreme Protestslogans von extremen Protestparteien. Denn darum geht es am Sonntag: um Protest. Mit dem real existierenden Politsystem der Bundesrepublik sind in Deutschlands Südosten nur noch Minderheiten zufrieden: Lediglich 35 Prozent in Brandenburg und 41 Prozent in Sachsen glauben, dass die im Grundgesetz definierte Staatsstruktur tatsächlich funktioniert. Erhebungen des Forsa-Instituts ergaben hingegen, dass die Zustimmung in Westdeutschland immerhin bei 62 Prozent liegt.

Die Wahlen im Osten als Protest gegen das Westsystem? „Das spielt so gut wie keine Rolle“, sagt der Dresdner Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Dohnsbach. Er verweist auf eine Stern-Umfrage, nach der nur jeder achte Ostdeutsche die Wiedervereinigung am liebsten rückgängig machen würde – dafür aber jeder vierte Westdeutsche. „Selbst die Mehrheit der Arbeitslosen sagt doch heute: Uns heute geht es besser ohne Arbeit als mit in der DDR.“

„Die Ostdeutschen haben den Versprechungen geglaubt“, sagt Alfons Söllner, Professor für Politische Theorie an der TU Chemnitz. Die Wende sei erst 15 Jahre her. „Entsprechend wach ist die Erinnerung an die großen Töne, mit denen das politische Establishment seinerzeit die neuen Bundesländer überzog.“

Das Wählervotum als Ausdruck von Frust? „Vielleicht“, sagt Söllner. In Chemnitz jedenfalls – der Stadt, die nach der Wende 90 Prozent ihrer Industrie verlor: „Die Zustimmung für PDS oder NPD ist aber im Vergleich zum Landesdurchschnitt gering.“ Hoch ist die Zustimmung zu den Extremisten allerdings in den ländlichen Gegenden. „Dort liegt zum einen die politische Bildung ziemlich am Boden, zum anderen ist die Perspektivlosigkeit größer als in den Ballungsgebieten“, sagt Söllner. Der Wahlausgang – eine Frage der Bildung? „Im Prinzip ja“, sagt Dohnsbach, allerdings eine allgemeine. „Der Abstand zwischen dem, was man wissen müsste, und dem, was man tatsächlich weiß, wird doch jeden Tag größer.“

Zum Beispiel Hartz IV – jener Arbeitsmarktreform, die gern als Wahlprogramm des Protests beschrieben wird. „Ich wette, dass 80 Prozent der Wahlberechtigten nicht mehr als einen fundierten Satz zu dieser Arbeitsmarktreform sagen können“, erklärt Dohnsbach. Hartz IV sei nur ein griffiges Symbol: „Die Wahrheit ist doch: Die überwiegende Mehrheit der Leute fühlt nur die schlechten Nachrichten, nicht aber eine schlechte Wirtschaftslage.“ Daraus ergebe sich eine diffuse Angst, gegen die es eben nur zwei Ventile gibt: der Stammtisch und der Wahlzettel. Um das noch mal mit Zahlen zu belegen: Nur 14 Prozent der Ostdeutschen glauben, dass sich ihr Leben seit dem Mauerfall verschlechtert hat. Die Arbeitslosigkeit liegt aber real bei über 20 Prozent. Und trotzdem wird die PDS in Brandenburg weit über 30 Prozent bekommen.

„So viel steht fest: DVU wähle ich nicht noch mal“, sagt Gerd Blume, Bauer aus Neubrück in der Mark Brandenburg. „Die sind genau wie alle anderen: große Klappe vor der Wahl, nichts mehr zu hören danach. Jedenfalls nichts Vernünftiges.“

Die Wahlen als Protest gegen das politische Establishment? Tatsächlich scheint sich so der Charakter der Landtagswahl an diesem Wochenende am treffendsten beschreiben. Dohnsbach: „Seit der PDS-Spitzenkandidat in Sachsen sich mit Stasi-Vorwürfen konfrontiert sieht, sind seine Umfragewerte ganz schön geschrumpft. Die Leute sagen: Der gehörte also auch mal zum Establishment.“ Umgekehrt seien die Zustimmungswerte für die NPD gestiegen. Söllner erinnert an das System Biedenkopf: „Egal ob es um den Zustand der Bundespolitik, um Rentenprobleme, ARD oder soziale Marktwirtschaft ging, Biedenkopf hatte immer eine querulante Meinung.“ Und damit eine gewisse Distanz zum bundespolitischen Establishment. Dieses Querulantentum war nie die Sache des Georg Milbradt. An diesem Wochenende muss er um die absolute Mehrheit bangen.

Protest wählen will auch Tomas Langhammer. Allerdings „Protest gegen den Protest“. Der Ingenieur aus dem sächsischen Freiberg wird zum ersten Mal seine Stimme einer großen Volkspartei geben. Langhammer: „Mir geht der ganze Ost-West-NPD-PDS-Kram nämlich mächtig auf die Nerven.“