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Archiv-Artikel

Die Rentenangst treibt die Umsätze nach oben

Zustand des Finanzsektors, Teil 4: Die Versicherungen können sich mitten in der Krise über Hochkonjunktur freuen.Aber bei einigen überdecken milliardenschwere Kapitalverluste das Umsatzplus. Sie retten sich in Fusionen

HAMBURG taz ■ Wir sind ein Volk von Versicherten. Für die Versicherungskonzerne zahlt sich das aus. Die Assekuranz gehört zu den wenigen Wachstumsbranchen. Trotzdem droht vielen Unternehmen das Aus.

Bei dem zweitgrößten deutschen Erstversicherer Ergo summierten sich die Probleme 2002 erstmals zu einem Minus von 1,1 Milliarden Euro. Die Nummer eins, die Allianz, kam auf einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro, das schlechteste Ergebnis in der 113-jährigen Firmengeschichte. „Ich habe während meiner Zeit im Unternehmen nie erlebt, dass sich so viele Risiken gleichzeitig realisieren“, sagte der scheidende Vorstandschef Henning Schulte-Noelle im April.

Vor allem die Börsenmisere hat das Kapital angefressen: Das Nettovermögen der Allianz sank um 60 Milliarden Euro, das der Münchener Rück um 20 Milliarden. Steuerlich haben die Konzerne davon seit 2000 keinen Vorteil mehr. Die niedrigen Zinsen sowie Schäden durch Terror und Naturkatastrophen taten ein Übriges. Nur wer wie die genossenschaftliche R+V-Versicherung Tafelsilber verscherbelte, schrieb 2002 schwarze Zahlen.

Die neue Ära war mit dem Startschuss zum europäischen Binnenmarkt im Sommer 1994 angebrochen: Die internationale Konkurrenz drückte die Preise auf dem bis dahin abgegrenzten deutschen Markt mit seinen kartellartigen Extraprofiten. Seither schreiben viele Versicherungen im operativen Geschäft dauerhaft Verluste. Geld verdienten sie nur noch mit Kapitalanlagen und bis zum Ende des Hypes im März 2000 an der Börse.

Inzwischen zahlen auch die Verbraucher drauf: Die Renditen der Lebensversicherungen sinken, die Prämien für Sachversicherungen steigen. Mehrere Unternehmen fielen bei Stresstests der Finanzaufsichtsbehörde BAFin durch. „Akute Fälle“ stünden jedoch nicht an, versicherte der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft noch im April. Ein paar Wochen später war die Mannheimer Leben pleite. Und auch manch anderes Unternehmen wackelt. Notfalls soll die Auffanggesellschaft Protektor AG einspringen. Vor allem kleinere Versicherungen fliehen aber lieber in Fusionen. Im vergangenen Jahr registrierte das Bundeskartellamt 22 Zusammenschlüsse, in diesem Jahr dürften es noch mehr werden.

Für die Starken der Branche sieht die Zukunft jedoch rosig aus. Die von der Politik übertriebene Rentenangst treibt die Bundesbürger in Kapitallebensversicherungen. Im ersten Halbjahr wuchs das Neugeschäft um rund 15 Prozent, bei der Hamburg-Mannheimer sogar um 33,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Außerdem soll das in den guten Börsenjahren vernachlässigte Sachversicherungsgeschäft endlich wieder Gewinne abwerfen, mit Personalabbau und Rationalisierungen will man Kosten einsparen. Obendrein verfügt etwa die Allianz über konzerneigene Vermögenswerte von rund 400 Milliarden Euro und verwaltet Anlagen von mehr als 500 Milliarden Euro für Dritte. Auf diesen Boden kann die Assekuranz bauen. HERMANNUS PFEIFFER

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