Schlips und Kragen

Die NPD ist in Teilen Sachsens hoffähig geworden: Es wird weniger geprügelt und gezündelt

NPD will „Sprachrohr der sozial entrechteten Deutschen“ sein. Das Chauvinistische kommt erst zum Schluss

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Mit starrem Blick hält der 30-jährige Arbeitslose seine schwarz-rot-goldene Fahne auf einem Platz in der ehemaligen Stahlarbeiter- und jetzigen Sportstadt Riesa. Um ihn herum etwa hundert Gleichgesinnte, die den Schmähreden des sächsischen NPD-Spitzenkandidaten Holger Apfel zuhören. Die „volksfeindlichen Politiker“ seien für ihn nicht satisfaktionsfähig, ruft Apfel. „Was schert es eine deutsche Eiche, wenn sich eine Sau daran reibt!“

Es ist die erste Montagsdemo der Nationaldemokratischen Partei (NPD) in Riesa, knapp eine Woche vor der Landtagswahl, und sie hat alle früheren Montagsdemonstranten vertrieben. Bis auf diese hundert, denen sich beim Marsch durch die Innenstadt allerdings kaum jemand angeschlossen hat.

Die NPD sei für ihn die einzige noch wählbare Partei, sagt der 30-jährige Fahnenträger. Alle anderen hätten ihn maßlos enttäuscht und für die Zukunft keine überzeugenden Konzepte mehr.

Es sind Menschen verschiedensten Alters, aber offensichtlich nicht die Privilegiertesten dieser Gesellschaft, die ähnlich denken oder fühlen. Das knallrote Spruchband an der Spitze des Zuges könnte auch von der PDS kommen: „Soziale Gerechtigkeit!“ Viele Sätze Apfels klingen ebenfalls verwechselbar. Etwa wenn es um die schlechte Lage der Familien, die Krankenversicherung, die Rente und natürlich gegen Hartz IV geht. Sogar die Legende von der zehntgrößten Industrienation DDR, die vom Westen kaputtgemacht wurde, lebt wieder auf. Und Wahlsieger Peter Marx von der saarländischen NPD als Gastredner entdeckt Gemeinsamkeiten mit Oskar Lafontaine im Kampf gegen Schröder, den „Genossen der Bosse“.

Es ist erklärte Strategie der NPD, mit solchen und ähnlichen Parolen der PDS die Enttäuschten und Protestwähler abzujagen. Letzte Umfragen sehen die NPD bei 9 Prozent. Die Partei selbst will sogar an der in Sachsen schwachen SPD vorbeiziehen und drittstärkste Kraft werden. Im aktuellen NPD-Wahlbrief nimmt die Absage an CDU und SPD als „Totengräber Deutschlands“ breiten Raum ein.

Die NPD hingegen will „Sprachrohr der betrogenen, belogenen, sozial entrechteten Deutschen“ sein. Erst im Kleingedruckten am Schluss kommt der chauvinistische und rassistische Tenor zum Vorschein, wenn es um das internationale Großkapital und um Ali und Mustafa geht. Grotesk, dass in Dresden ausgerechnet solche dunkelhäutigen Mitbürger beim Einwerfen dieser Zettel in die Briefkästen beobachtet wurden.

Das neue Gesicht der Rechtsextremen entspricht in etwa dem beigefarbenen Anzug von Holger Apfel. Bürgerlich angesehene Handwerker oder Kleinunternehmer in Schlips und Kragen tauchen plötzlich als NPD-Kandidaten auf und werden gewählt. Es wird nicht mehr so oft geprügelt oder gezündelt, aber in Kommunalparlamenten fällt schnell die Maske. Bei der ersten Stadtratssitzung in Dresden sorgte die Forderung nach Abschaffung der Ausländerbeauftragten für Tumulte.

Die NPD in Sachsen verfügt parallel zur Kameradschaftsszene inzwischen über gefestigte Kaderstrukturen. Sie unterscheidet sich damit von der in Brandenburg antretenden eher spontanen Deutschen Volksunion (DVU) – einem Ableger des Münchner Verlegers Gerhard Frey.

Zwar zog diese 1998 beim vorletzten ostdeutschen DVU-Experiment auf Anhieb mit 13,2 Prozent in den Landtag von Sachsen-Anhalt ein. Doch dort angekommen entpuppte sich die Fraktion als eine Ansammlung von Hasardeuren. Die Brandenburger Spitzenkandidatin Liane Hesselbarth konnte selbst von Schülern verbal demontiert werden. So leicht dürfte man es mit sächsischen NPD-Vertretern nicht haben.

Nach 1990 war der Osten ein willkommenes Experimentierfeld für die labilen und in die Defensive geratenen westdeutschen Rechtsextremisten. Regional haben sich unterschiedliche Strömungen durchgesetzt. Diese konkurrieren mit ähnlichen Slogans um die gleiche Wählerschaft. Deren Stimmen verteilten sich in vergangenen Wahljahren meist so, dass keine der braunen Gruppierungen ausreichende 5 Prozent für den Einmarsch in Landesparlamente erhielt. Nach in Westdeutschland bewährtem Muster gibt es deshalb für die bevorstehende Landtagswahl eine Absprache zwischen DVU und NPD, nicht gegeneinander anzutreten.

Sehr spät ist die Gefahr eines Einzuges der NPD in den Sächsischen Landtag öffentlich wahrgenommen worden. Noch Mitte August gab Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) kund, er rechne nicht damit, die Rechtsradikalen im Landtag anzutreffen. In den September-Umfragen schnellten die Nationaldemokraten locker über die Fünfprozenthürde. Jetzt überschlagen sich Wahlaufrufe an die Bevölkerung, verbunden mit Appellen, rechte Parteien zu meiden.