Die Krisen des Mannes

Zuweilen beängstigend: Ulrike Brunottes Studie „Zwischen Eros und Krieg“ erlaubt einen Blick in die Entstehungszeit moderner Männlichkeit

„Edle Einfalt und stille Größe, wie sie Johann Joachim Winckelmann an griechischen Jünglingsstatuen entdeckte, zeichnet Männerkörper heute wohl ebenso oft oder selten wie damals aus. Goethe warf daher 1771 dem Apollo vom Belvedere etwas ungnädig vor, ‚warum zeigst du dich uns in all deiner Nacktheit, so dass wir uns unserer selbst schämen?‘“

Dennoch wurde das von Winckelmann beschriebene Ideal mit seinem Gleichgewicht zwischen körperlicher wie moralischer Stärke und Zurückhaltung zum Stereotyp moderner Männlichkeit, das Nation und Staat verkörpert. Als moralische Idee und Kunstwerk in einem ist es gut idealistisch der animalischen Fleischlichkeit und der schweißtreibenden Arbeit entrückt. Allerdings bleibt der nackte, edle, gut proportionierte und strahlend weiße Körper, den der schwule Winckelmann so fasziniert mit der Idee kurzschloss, eine Beunruhigung. Der ausgeschlossene Eros kehrt mit Macht wieder, als Wissenschaftler um 1900 Hysterie und Homosexualität, die vordem den Frauen vorbehalten waren, auch bei Männern diagnostizieren. Der „Schock der ‚Weiblichkeit‘ im Mann“, schreibt Ulrike Brunotte in ihrer spannenden Untersuchung „Zwischen Eros und Krieg“ – aus der auch das einleitende Zitat stammt –, erschüttert das „hegemoniale Männlichkeitsbild“: „Sexualität figuriert […] als Bauchredner der umfassenderen Erschütterungen von Form und Differenz, die den Prozess der Modernisierung in der Umbruchphase um 1900 begleiteten.“

Das hatte der große Historiker George L. Mosse noch ganz anders gesehen. Das männliche Ideal, vermerkte er 1996 (deutsche Übersetzung 1997) in „Das Bild des Mannes“, sei durch die Jahrhunderte kaum Veränderungen unterworfen. Irritationen und Ängste sah zwar auch er nach der letzten Jahrhundertwende, doch zeigen sie seiner Überzeugung nach nur, „wie fest das Stereotyp der modernen Männlichkeit in den Köpfen verankert war“. Ulrike Brunotte ist anderer Meinung. Sie erzählt von gravierenden Umarbeitungen des Männlichkeitsbildes, wie sie Klaus Theweleit für den Freikorpssoldaten beschrieben hat. Um 1900 ergreift die Modernisierung die ganze Gesellschaft: Die industrielle Dynamik rüttelt am gesellschaftlichen Stillstand, Frauen und Arbeiter drängen auf Emanzipation, die bürgerliche Moral lockert sich, die Psychoanalyse entmachtet das Subjekt. Führende Köpfe befürchten eine umfassende „Verweiblichung“: Die Kulturkrise ist zuvörderst eine der Männlichkeit. Aus ihr soll die Jugend herausführen, die sich durch eine verlängerte Ausbildungsphase in einem historisch neuen und ungewissen postadoleszenten Zustand befindet und daher als Projektionsfläche anbietet. In der lebensreformerischen Wanderbewegung wird die Jugend, anfangs ausschließlich männlich verstanden, dann gemischt im Zeichen asexueller Kameradschaft, zum Experimentierfeld. Sie erprobt neue Ideale und erfindet dafür Rituale.

Ulrike Brunotte zeigt, wie Jugend zu einem zentralen Medium für die Selbstreflexion der Moderne und des Männlichkeitsbildes wird. Die koloniale Ethnologie etwa steuert Beobachtungen über Initiationsriten und Männerbünde bei, der Wandervogel sucht den gemeinsamen Rausch, und die nationale Jugendbewegung rückt das kultische, sakrale Element in den Mittelpunkt. Walter Flex lässt in seiner erfolgreichen Erzählung „Wanderer zwischen den Welten“ aus dem Wandern das Marschieren im Ersten Weltkrieg werden. Er überführt die gemischte Gemeinschaft in die des Männerbunds, die Lichtgestalt jugendlicher Männlichkeit in die soldatische Männerfreundschaft, den Wanderführer in den Helden – und er verschmilzt im Zeichen des geopferten Helden die Oppositionsbewegung mit der Nation. Rilkes Fähnrich Cornet, Gottfried Benns „Dorische Welt“ und Ernst Jüngers „Kampf als inneres Erlebnis“ sind weitere Artikulationen einer antifemininen Männlichkeit.

Es muss Ulrike Brunotte wie ein Glücksfall vorgekommen sein, dass es einen Zeitgenossen gibt, der all diese Überlegungen bündelt und zuspitzt. Anfangs begeistertes Mitglied des Wandervogels, praktiziert der 1888 geborene Hans Blüher als wilder Psychotherapeut; er ist ein viel gelesener, im Kontakt mit Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld stehender Kultur- und Sexualtheoretiker, kämpft als bekennender Homosexueller gegen den Paragrafen 175, der gleichgeschlechtliche Neigungen unter Strafe stellt – und stößt in der Weimarer Republik zur „Konservativen Revolution“, der Ernst Jünger und sein Sekretär Armin Mohler zugerechnet werden. Blüher wird völkisch, sein Antifeminismus wandelt sich zum Antisemitismus. Hätte es Blüher nicht gegeben, die Diskurstheoretikerin Ulrike Brunotte hätte ihn erfinden müssen.

Blüher modifiziert den um 1900 wieder aufgetauchten männlichen Eros, indem er ihn im Männerbund nutzbar macht: als Bindemittel. Damit verschwinden die Frauen, die in der bürgerlichen Geschlechterpolarität noch sozial, wenn auch nicht als Sexualsubjekte repräsentiert sind, von der Bildfläche. Später spricht Blüher der Hypermännlichkeit des Homosexuellen im Männerbund auch staatsbildende Funktion zu – eine Auffassung, bei der ihm die Nationalsozialisten nicht folgen. Seine Theorie des Männerbunds steht Max Webers Überlegungen zur charismatischen Herrschaft überraschend nahe. Beide antworten auf die Krise der Repräsentation im Wilhelminischen Reich mit einer Ausweichbewegung in das Jenseits bürgerlich-rationalistischer Vergesellschaftungsformen.

Im Alltag heute lösen sich die Geschlechtergrenzen, doch im Krieg sowie in fundamentalistischen Gruppen tritt die durch den Bund gestützte Männlichkeit immer noch hervor. Gewalt sei daher, meint Ulrike Brunotte, auch im Zeitalter moderner Kriege nicht formlos, sie bediene sich überlieferter Formen und Riten patriarchaler Männlichkeit. Islamische Gotteskrieger als Männerbündler? Das klingt ein wenig nach dem letzten universalistischen Rückzugsgefecht.

„Zwischen Eros und Krieg“ erlaubt einen zuweilen beängstigenden Blick in die Entstehungszeit moderner Männlichkeit. Leider führt die Zweiteilung der nicht immer leicht lesbaren Studie – zu Beginn ethnologische und literarische Quellen, dann die Schriften Hans Blühers – zu einigen Wiederholungen. Sie verhindert auch, dass Ulrike Brunotte ein großes Panorama der sexual politics als „einem exponierten Medium der Modernereflexion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ entwirft. Dessen ungeachtet ist ihre Arbeit ein Meilenstein. JÖRG PLATH

Ulrike Brunotte: „Zwischen Eros und Krieg“. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004. 174 Seiten, 18,50 Euro