„Ich glaube an die Revolution“

„Die Meinungsfreiheit im Iran ist heute größer, aber die Situation der Frauen war unter dem Schah besser“

Interview DOROTHEA HAHN

taz: Frau Ebadi, herzlichen Glückwunsch zum Friedensnobelpreis. Seit Freitag haben Sie Reaktionen und Gratulationen aus der ganzen Welt erhalten. Welche haben Sie am meisten berührt?

Schirin Ebadi: Die Reaktion vieler Iraner. Sie haben vor Freude geweint, als sie es erfahren haben.

Die Machthaber in Teheran haben sehr unterschiedlich reagiert. Die einen freuen sich über die Anerkennung. Die anderen sprechen von einem Fehler.

Die Regierung hat mir gratuliert. Also die gewählten Politiker. Die Konservativen sind natürlich unzufrieden. Sie sagen, das ist ein Preis, den der Westen verleiht. Und sie haben ihn mit dem Fiedensnobelpreis verglichen, den der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat gemeinsam mit dem israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin erhalten hat. Das zeigt, wie ignorant sie tatsächlich sind.

Wie wird sich jetzt Ihr Leben verändern?

An meiner Arbeit wird der Friedensnobelpreis gar nichts ändern. Ich fahre am Dienstag in den Iran zurück. Ich werde weitermachen wie bisher. Ich muss mir jetzt beweisen, dass ich diesen Preis wirklich verdiene.

Wird der Preis Auswirkungen auf die politischen Verhältnisse im Iran haben?

Ich glaube nicht, dass die iranische Politik flexibel genug ist, um sich wegen eines Preises zu ändern. Aber er wird allen Verteidigern der Menschenrechte in meinem Land Mut machen.

Dürfen jetzt Kollegen von Ihnen, also Anwälte, Journalisten und Schriftsteller, die im Iran im Gefängnis sitzen, auf Freilassung hoffen?

Ich fordere die Regierung auf, alle politischen Gefangenen freizulassen. Und ich hoffe, dass dies auch geschieht. Die Verteidiger der Menschenrechte sind im Iran eine Gegenmacht. Sie leben gefährlich. Daher müssten sie eigentlich Immunität genießen.

Könnte Ihnen im Iran dasselbe passieren wie Aung San Suu Kyi in Birma, die trotz Friedensnobelpreis weiterhin isoliert und gefährdet ist?

Ich glaube nicht. Die islamische Republik hat nie die Familien der Menschenrechtsaktivisten und die diesen nahe Stehenden angegriffen. Außer in den ersten Jahren nach der Revolution von 1979. Aber heute ist die Zeit der Revolution zu Ende. Jetzt stehen Reformen und Veränderungen an.

Die Iranerin Afsaneh Nuruzi ist zu Tode verurteilt worden, weil sie ihren Vergewaltiger, einen Beamten, getötet hat. Sie könnte jederzeit hingerichtet werden. Gibt es eine Möglichkeit, sie zu retten?

Afsaneh Nuruzi hat Notwehr geltend gemacht. Das wurde vom Gericht nicht anerkannt. Ich kenne diesen Fall nicht genauer und kann mich deshalb nicht dazu äußern. Aber auf alle Fälle bin ich gegen die Todesstrafe. Im Allgemeinen und natürlich auch bei dieser Frau.

Sie haben im Iran die Reformer unterstützt. Was hat sich seit deren Wahl bei den Menschenrechten und besonders bei den Rechten der Frauen geändert?

Was die Rechte der Frauen betrifft, so hat sich nichts geändert. In Sachen Menschenrechte haben die Reformer versucht, eine freie Presse zu ermöglichen und die Meinungsfreiheit zu verbessern. Leider konnten sie bislang nicht viel erreichen. Die meisten Zeitungen mussten dichtmachen.

Ist ein demokratisches System in einer islamischen Republik denn überhaupt möglich?

Nur wenn sich der Klerus den Wünschen und der Wahl des Volkes beugt. Sonst nicht.

Sie haben die Revolution von 1979 als erwachsene Frau erlebt. Sie waren damals Richterin, nach der Revolution mussten sie diesen Beruf aufgeben. War das Leben unter dem Schah besser?

Ich habe immer an die Revolution geglaubt. Und tue es auch heute noch. Die Revolution wurde im Namen der Demokratie und für sie gemacht. Heute geht es dem Iran zwar wirtschaftlich schlechter. Das liegt aber auch daran, dass wir jetzt 70 Millionen Menschen sind, davor waren es nur 30 Millionen. Der Ölpreis ist gesunken. Aber die politische Meinungsfreiheit im Iran ist heute größer als früher. Die Situation der Frauen allerdings war unter dem Schah besser.

Seit der islamischen Revolution im Iran hat sich die Situation der Frauen in der islamischen Welt insgesamt dramatisch verschlechtert. Was muss geschehen, um diese Entwicklung umzukehren?

Ich glaube nicht, dass die islamische Revolution die Situation der Frauen in den anderen muslimischen Ländern verschlechtert hat. Ihre Situation war schon vorher nicht gut. Natürlich kann man etwas tun. Man muss das Wissen und die Bildung verbessern. Wenn die Frauen die Menschenrechte kennen und wenn sie ihre Religion kennen, gibt es einen Fortschritt. Die Frauen müssen wissen, dass nicht etwa die Religion gegen sie ist, sondern die patriarchalische Gesellschaft. Diese übt Druck aus und benutzt die Religion gegen die Frauen.

Ist Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Islam möglich?

Ja. Alles hängt davon ab, wie man den Islam interpertiert.

Im Iran tragen Sie eine Kopfbedeckung. Hier, in Frankreich, tragen Sie keine. Ist das Kopftuch ein Zeichen der Unterwerfung der Frau?

Das Tragen eines Kopftuchs ist in meinem Land Pflicht. Ich respektiere die Gesetze meines Landes. Also trage ich es. Hier aber habe ich die Wahl. Und da entscheide ich mich dafür, es nicht zu tragen. Das ist die eine Sache. Was das Kopftuch als Zeichen der Unterwerfung betrifft, kann ich Ihnen sagen, dass viele verschleierte Frauen sich für stärker halten als Männer.

Werden Sie bei der Preisverleihung im Dezember in Oslo ein Kopftuch tragen, damit die Zeremonie im iranischen Fernsehen übertragen wird?

Ich hoffe, dass die Preisverleihung im Iran übertragen wird. Aber ich trage das Kopftuch in Europa nicht. Weder in Frankreich noch in Oslo.

In Deutschland und Frankreich haben wir zurzeit eine „Kopftuchdebatte“. Es geht um die Frage, ob das Tuch in der Schule zulässig ist oder nicht. Was ist Ihre Ansicht?

Die Trennung von Religion und Staat bedeutet, dass man keine religiöse Propaganda betreibt. Wer das Tuch aus rein persönlichen Gründen trägt, also nicht missionieren will, sollte das dürfen. Genau wie man das Recht haben sollte, mit Hut spazieren zu gehen. Oder nackt.

Was halten sie von der These des „Clash of Civilizations“?

Nicht das Geringste.

Aber im Westen ist sie sehr aktuell. Seit dem 11. September 2001 macht sich bei uns Angst vor dem Islam breit. Einige Schriftsteller und Intellektuelle pflegen eine regelrechte Islamophobie. Was sagen Sie ihnen?

Menschenrechte und der Islam stellen nicht den geringsten Widerspruch dar. Das wiederhole ich seit zwanzig Jahren unablässig. Die Leute, die terroristische oder mörderische Akte im Namen des Islam begehen, sind keine Muslime. Es gibt auch viele Christen, die Mörder sind. Aber man sagt nicht, dass es das Christentum ist, das sie dazu macht.

„Ich muss mir jetzt beweisen, dass ich diesen Friedensnobelpreis wirklich verdiene“

Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet in dem Land der islamischen Revolution die demokratischen Gruppen stärker werden? Während in anderen muslimischen Ländern momentan die extremistischen Gruppen Zulauf haben?

Man darf nicht vergessen, dass der Iran eine Revolution für die Demokratie gemacht hat. Diese Revolution hat ihre Ziele nicht erreichen können. Aber es war keine islamische Revolution.

Was ist Ihre Reaktion auf die militärische Intervention im Nachbarland Irak?

In jedem Fall ist die Souveränität eines Landes wichtig. Jedes Volk muss selber entscheiden und wählen, welchen Weg es geht. Das gilt auch für die Iraner. Sie müssen sich schlagen. Sie müssen entscheiden, was sie wollen.

Aber in Afghanistan hat die ausländische Intervention die Herrschaft der radikalen Taliban beendet.

Man darf nicht vergessen, dass ein großer Teil der Taliban keine Afghanen waren und dass sie von außen und besonders von den USA unterstützt worden sind. Ohne diese Unterstützung wären sie nicht an die Macht gekommen.

Die internationale Gemeinschaft macht sich Sorgen wegen einer atomaren Bewaffung des Iran.

Der Iran hat keine Atombombe. Ich bin gegen Atomwaffen, sowohl im Iran als auch in Israel und in den USA. Und ich bin gegen ausländische Interventionen. Man lasse uns tun, was wir zu tun haben.

Was erwarten Sie, die Streiterin für die Menschenrechte, aus dem Ausland?

Dass die Medien darüber berichten, was im Iran geschieht. So war es zum Beispiel sehr wichtig, dass Ihre Zeitung sich für die Freilassung des iranischen Schriftstellers Faradsch Sarkuhi eingesetzt hat.

Was werden Sie mit dem Preisgeld tun?

Ganz genau weiß ich das noch nicht. Aber der größte Teil wird für mein Kinderhilfswerk und für den Kampf für die Menschenrechte ausgegeben werden.