Pionier der Leichtbauweise

Zurück in die Zukunft: Vor 50 Jahren erfand der Architekt Richard Buckminster Fuller das Haus neu. Sein 1954 patentiertes Rundhaus vereint Ökonomie und Ökologie, minimale Oberfläche und Materialaufwand mit dem größtmöglichen Volumen

VON ANDRÉ CASPARY

Ein schönes Bild: Unser Raumschiff Erde rast gerade mit 60.000 Sachen in einer Umlaufbahn um unser Mutterschiff, die Sonne, und zusammen sind wir unterwegs in die unendlichen Weiten des Universums. An Bord sind im Moment rund zwei Milliarden Mann Besatzung, und das Schiff ist so ausgestattet, dass wir uns auf der ganzen Reise selbst versorgen können. Und wie jedes Schiff kann es kentern, wenn man es nicht in Schuss hält.

Den Mann, der dieses Bild fand, nannte Arthur C. Clark („2002: Odyssee im Weltraum“) den ersten technischen Heiligen. Er wurde immer wieder als größter Visionär des letzten Jahrhunderts bezeichnet, er war Architekt, Erfinder (25 Patente), Wissenschaftler (47 Ehrendoktograde) und Künstler – Harvard bot ihm als Poeten der Technik einen Lehrstuhl für Poesie an. Jahrzehnte bevor Globalisierung zum Schlagwort wurde, rückte er mit seinen Ideen um das Raumschiff Erde (1951) und seinen Konzepten vom Global Village (Global denken – lokal handeln) die Ökologie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Erstaunlich bleibt: Richard Buckminster Fuller blieb in unseren Breitengraden bis heute weitgehend unbekannt. Kinder fragen oft so lange: „Aber warum?“, bis selbst die schlauesten Eltern nicht weiterwissen. Bucky Fuller war so ein Kind. Und irgendwie hat er es geschafft, nie damit aufzuhören. Er hinterfragte die Dinge immer wieder neu, jeden Gegenstand, den er in die Hand nahm, und jedes Verhalten, das er beobachtete. So erfand Fuller genau vor 50 Jahren schließlich das Haus neu. 1954 patentierte er seinen „geodätischen“ Dom, seine wohl bekannteste Erfindung und stellte ihn erstmals auf der Triennale in Milano aus.

Bei der Konstruktion ging es Fuller um Ökonomie und Ökologie. Sein Rundhaus vereint minimale Oberfläche und Materialaufwand mit dem größtmöglichen Volumen. Dabei gibt die kleine Kugeloberfläche die geringste Wärmeenergie an die Umgebung ab. Luft und Energie zirkulieren im runden Innenraum und stauen sich nicht in den Ecken. Noch überzeugender die Statik: Bei einer rechteckigen Struktur bilden die Winkel die Schwachpunkte. In einer Dreiecksstruktur sind die Winkel fixiert und bilden Knotenpunkte in einem Netz, auf das sich die Last verteilen kann. Die Netzstruktur erlaubt wiederum eine hohe Toleranz der inneren Dynamik. Ein Domhaus hat durchschnittlich drei Prozent vom Gewicht der rechteckigen Konkurrenz, aber hält Tornados und Erdbeben stand. Ob der Fähigkeit, große Schneelasten zu tragen, wurden Dome bald als Polarstationen eingesetzt. Bis in die entferntesten Ecken unseres Raumschiffs namens Erde können die wenigen Einzelteile transportiert werden.

Fuller fragte, ob es überhaupt Sinn mache, auf unserem Raumschiff fest gemauerte Häuser zu bauen. Er stellte sich leichte und transportable Häuser vor, die sich organisch in die Natur einfügen. Rechteckige Häuser aus Stein zu bauen hielt der Pionier der Leichtbauweise für eine steinzeitliche Angewohnheit. Seit sich Metall industriell verarbeiten lässt, sei es völlig unsinnig, Häuser noch wie in der Steinzeit zu bauen. Hinter dicken Wänden und kleinen Fenstern fühlte man sich früher warm und sicher. Heute will man sich nicht mehr wegsperren. Lebensqualität entsteht durch Licht, und moderne Kunststoffe isolieren besser als dicke Steinwände.

Das Geheimnis der Leichtigkeit und Stabilität dieser Konstruktion liegt in ihrer Geometrie. Fuller erforschte diese seit seiner Kindheit. Als Junge baute er seinen ersten Dom aus Erbsen und Zahnstochern. Seine geometrischen Entdeckungen waren der Ausgangspunkt seiner Erfindungen und Konstruktionen. Geometrie sollte so sein, „ wie sie die Natur selber verwendet“. In seiner synergetischen Geometrie sagte Fuller Strukturen voraus, wie sie teilweise erst nach seinem Tod gefunden wurden. Inspiriert von Fullers Domstruktur entdeckten Forscher 1985, zwei Jahre nach Fullers Tod, eine Klasse von Kohlenstoffmolekülen, für die sie 1997 den Nobelpreis erhielten, und gaben ihnen den Namen Fullerene, um den Architekten und sein inspirierendes Werk zu ehren.

Fuller gilt als Anstifter der Ökologiebewegung und Solararchitektur. Die amerikanische Alternativbewegung machte die Fuller-Dome zu ihrem architektonischen Symbol. Sie wurden in allen Größen als Spielgerüste, Wohnhäuser, Ausstellungshallen, Hangars und Notunterkünfte in Krisengebieten gebaut. Über den ersten europäischen Hersteller, der Firma Zendome (www.zendome.de), sind geodätische Dome jetzt auch bei uns erhältlich und tauchen im Umfeld von Open-Air-Festivals und Eco-Camps immer häufiger auf.

Fuller schrieb 28 Bücher, aber erst kürzlich erschien zum ersten Mal in deutscher Sprache eine Auswahl seiner Schriften in dem Taschenbuch „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“. Bleibt der Wunsch, dass seine Ideen nun endlich auch in unsere Breitengrade dringen.