Alternatives Heimwerkercamp

In einer Woche findet in der Tempelhofer ufaFabrik die Tagung und Projektbörse „zukunfts wohnkonzepte“ statt. Ziel ist es, sich über Ansätze, Probleme und Möglichkeiten gemeinschaftlich organisierten Wohnens zu informieren und auszutauschen

VON MARTIN SCHWEGMANN

„Mission Traumhaus – Deutschlands verrückteste Baustelle“, so heißt die neue, am 22. September anlaufende Doku-Game-Soap auf RTL II. Sechs Teams renovieren vier Wohnungen in einem heruntergekommenen Berliner Altbau. Alle zwei Wochen muss ein Team auf Vorschlag der eigenen Mitstreiter das Haus verlassen. Am Ende der Staffel entscheidet der Zuschauer darüber, welches Team eine der vier renovierten Altbauwohnungen im Wert von 250.000 Euro gewinnt. Eine alternative Möglichkeit, Wohnraum zu entwickeln? In einer Beschreibung der Staffel heißt es: „Das ist kein Heimwerkercamp, sondern Real-Life pur.“

Richtig mag sein, dass hierzulande inzwischen mehr Menschen das Bedürfnis haben, ihr Heim und Haus nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten. Doch vom altehrwürdigen Ansatz des gemeinschaftlichen Wohnens ist beim RTL-II-Ausscheidungs-Werkeln freilich gar nichts mehr übrig geblieben.

Ein Heimwerkercamp völlig anderer Art zeigt, dass die Idee vom Traumhaus auch ganz anders aussehen kann. Die kommenden Sonntag, den 26. September, stattfindende Tagung und Projektbörse namens „zukunfts wohnkonzepte“ ausgerichtet von experiment city berlin und vom id22 – institut für kreative nachhaltigkeit in der ufaFabrik in Berlin-Tempelhof zeigt ebenfalls „Real-Life“ zum Anfassen:

Im Rahmen der Tagung stellen sich alternative Wohnprojekte aus Berlin und dem Umland einem breiten Publikum. Ziel ist es, Strategien kreativer Nachhaltigkeit speziell in Wohnprojekten sowohl Neueinsteigern wie auch erfahrenen Besuchern aufzuzeigen. Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich über Ideen, Ansätze, Probleme und Möglichkeiten im Zusammenhang mit gemeinschaftlich organisiertem Wohnen zu informieren, auszutauschen eigene Ziele besser zu definieren und umzusetzen.

Hierzu gibt es zusätzlich zu der Projektbörse, in welcher sich über dreißig Projekte vorstellen, fünf Workshops, in welchen mit projekterfahrenen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft zusammen Themen aus den Bereichen Finanzierung- und Rechtsformen, neuen Kooperationsformen mit Verwaltung und Stadtplanung bis hin zu ökologischem Bauen erarbeitet werden. Experiment city berlin ist ein so genanntes Leitprojekt der Lokalen Agenda 21 in Berlin und fördert die partizipative und nachhaltige Entwicklung Berliner Brachflächen.

Stellt sich die Frage, wie viele Menschen den Fernsehsessel verlassen und den Weg nach Tempelhof gehen werden? Es gibt eine immer steigende Anzahl von Stadtrauminteressierten und ein sich ausweitendes Bewusstsein für öffentlichen Raum und dessen Gefährdung, sowie ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Eröffnung und Erhaltung gemeinschaftlich genutzter Räume. Doch ist dieser Diskurs fragmentiert und für den Einzelnen schwer überschaubar, da auch einzelne Projekte schnell ihren hermetischen Mikrokosmos kreieren.

Im Architektur und Kunstkontext ist das Thema Schrumpfung, Leerstand, Zwischennutzung, überwachter öffentlicher Raum und kollektives Leben und Arbeiten gerade in Berlin allgegenwärtig. Projekte wie der Volkspalast, die Ausstellung „Shrinking Cities“ in den Kunst-Werken, das Ersatzstadtprojekt der Volksbühne sowie die Architekturzeitschrift Anarchitektur, welche die politische Komponente im Architekturdiskurs wieder populär macht, sind allesamt aktuelle Projekte, welche sich des Themas annehmen. All diese Projekte ästhetisieren das Thema, welches lange Zeit meist in der Öko- und Hausbesetzerszene angesiedelt war und platzieren es in einem manchmal recht elitären Raum. Alle Projekte sind durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert. Obwohl auch die Verortung im Kunstkontext ein begrenztes Publikum anspricht, so bekommt das Thema eine neue Wertung. Denn Kunst ist immer noch etwas anderes, etwas Besonderes – ein Raum, in dem Neuartiges entstehen kann.

Das Problem dabei ist allerdings, dass der Betrachter manchmal relativ hilflos zurückbleibt mit den ihm beigebrachten Phänomenen. Ja, interessant, stimmt … aber was nun? Dieses ist im Kunstkontext völlig berechtigt, nur ist das Thema darüber hinaus auch von gesamtgesellschaftlicher Relevanz.

Die Bundesregierung hat verschiedenste Programme aufgelegt, um einer nachhaltigen Stadtentwicklung Wichtigkeit einzuräumen, wie zum Beispiel die Lokale Agenda 21 oder das Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. Philipp Oswalt, leitender Kurator der Ausstellung „Shrinking Cities“, schreibt in der Einleitung des zur Ausstellung erschienenen Buches „Schrumpfende Städte“ über das Programm „Soziale Stadt“, dass dieses „bislang eher als Sozialarbeit zur Krisenintervention in konfliktreichen Stadtvierteln denn als wirkliches Instrument von zukunftsgerichteter Stadtentwicklung aufgefasst wurde.“

Es gilt also, die Wichtigkeit solcher Programme als innovative Steuerungswerkzeuge angesichts sich dramatisch verändernden Stadtentwicklungen in den Vordergrund zu stellen. Hierzu kann der Kunst- und Architekturdiskurs positiv beitragen. Weiterhin kann der Diskurs auch das Thema „nachhaltige partizipative Stadtentwicklung“ entstauben und mit neuem Schwung versehen. Wichtig ist die Verknüpfung mit den realen Gegebenheiten und Programmen vor Ort, wie es experiment city berlin als Leitprojekt der Lokalen Agenda 21 versucht.