Liebe in Zeiten der Rezession

Keine Angst vor Plattitüden: Die Berliner Soul-Sängerin Bintia singt gerne über Sehnsucht, Einsamkeit oder ihre Musiker-Ehe. Mit ihrem neuen Album „b-ständig“ wendet sie sich an all die potenziellen Freundinnen, die ähnliche Gefühlsnöte kennen

VON THOMAS WINKLER

Es war früh am Morgen, gerade erst hell geworden. Aber trotz der frühen Stunde verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer unter den Obdachlosen: Da drehen so ein paar Spinner einen Film auf dem Alexanderplatz und bezahlen jeden dafür, nicht ins Bild zu laufen. Der stete Strom an Pennern, der rein zufällig in aller Herrgottsfrühe das erste Bierchen unbedingt auf dem Alex zischen wollte, riss fortan nicht mehr ab. So wuchsen die Anti-Statisten zum nicht vorgesehenen Kostenpunkt der Videoproduktion an.

Im unvorhergesehen kostspieligen Videoclip zu „Tage und Stunden“, der aktuellen Single von Bintia, ist Berlin eine menschenleere Betonwüste, die sich vom Alex über einen ebenso frei geräumten Potsdamer Platz bis hin zur noch nicht eröffneten Neuköllner Stadtautobahn zieht. Vor dieser postnuklear wirkenden Szenerie berichten Bintia und Xavier Naidoo über sanften Soul-Rhythmen von der Einsamkeit eines Musikantenpärchens.

Auch wenn die beiden Interpreten nur im Videoclip ein Paar sind – auch im richtigen Leben ist Bintia mit einem Musiker liiert. Gerade ist sie schwanger mit ihrem zweiten Kind von Harris, der einen Hälfte der rappenden Spezializtz. Die Niederkunft wird für den Oktober erwartet.

Angesichts dieses Familienzuwachses, gibt Bintia zu, „denke ich manchmal schon, ich müsste eigentlich was Richtiges machen“. Denn es ist keine gute Zeit für „b-ständig“, ihren „Neuanfang“, wie Bintia ihn nennt, nachdem ihr Debüt im Jahr 2001 recht klanglos unterging. Es ist momentan prinzipiell keine gute Zeit, wenn man leben will von der Musik, und deutschsprachiger Soul macht da keine Ausnahme. „Ich überlebe eher, als dass ich lebe“, sagt Bintia und fügt hinzu, dass sie schon froh wäre, die Miete regelmäßig zahlen zu können und mal in Urlaub zu fahren.

Doch Timing scheint nicht ihre Stärke zu sein: Ihr erstes Album vor drei Jahren setzte noch verstärkt auf Rap, als deutschsprachiger Soul als neues Ding galt. Jetzt, da deutschsprachiger Soul auf dem absteigenden Ast zu sein scheint, bringt sie ein nahezu lupenreines Soul-Album heraus. So muss die Weitgereiste, die in Magdeburg geboren wurde, im Wedding aufwuchs und ihre Jugend im kleinen karibischen Inselstaat St. Kitts & Nevis verbrachte, nebenbei als Übersetzerin jobben.

Immerhin hat sich Bintia für ihr zweites Album die besten Voraussetzungen geschaffen, ihre wirtschaftliche Lage grundsätzlich zu verbessern: „b-ständig“ wurde aufgenommen und produziert in der Hitfabrik der Söhne Mannheims und unter der Ägide von deren DJ Billy Davis. Es erscheint bei Beats Around the Busch, dem Label des großen Gläubigen Naidoo. Entstanden ist eine Platte, die sich bewusst nicht beteiligt am internationalen Rattenrennen um immer avanciertere Beats, sondern lieber auf eine durchgängige Grundstimmung setzt – auf Soul im nahezu klassischen Sinne, auf Liebeslieder und noch mehr Liebeslieder, nur aufgelockert durch einige wenige Party-Tracks, die mit sanfter Funkyness ein Hohelied singen auf ein weltoffenes Berlin.

„Ich wollte mich an keiner musikalischen Mode orientieren“, sagt Bintia und meint auch, dass dies womöglich schon der erste Schritt in die angestrebte Zeitlosigkeit sein möge. Sie selbst, erzählt sie, hört nahezu ausschließlich alten Soul, „Diana Ross und so Sachen“, und bei so viel S-Lauten lispelt sie ein klein wenig, kaum hörbar nur.

Wenn sie singt, verschwindet der kleine Sprachfehler vollkommen, dafür aber setzt eine eher schlichte Vorstellung von Soul ein. Allein in einem Song wie „Wenn der Himmel“ finden sich Platitüden im Sekundentakt: „Aller Anfang ist schwer“, „Leere in meinem Herzen“, „keine Angst vor Gefühlen“, „nach dem Regen lacht die Sonne“. In solchen Momenten hört man die Mannheimer Schule überdeutlich im Hintergrund klappern – auch wenn der Gegenstand der Liebe bei Bintia nicht von so göttlicher Herkunft ist wie beim Original.

Musikalisch haben die Kurpfälzer sowieso ihre Handschrift hinterlassen: Da pluckern die Beats eher unauffällig, aber effektiv, und einige der Melodien wollen gar nicht mehr aus dem Kopf verschwinden.

Das Album, sagt Bintia, „sollte man durchhören können, das soll auch im Hintergrund laufen können“. Schließlich, hat sie festgestellt, scheint ihr Publikum größtenteils aus Frauen zu bestehen, die in der 26-Jährigen eine Freundin finden: „Ich bin so der Kumpel.“

Als solcher singt sie mit einer Stimme, „die nicht gerade vom Keller bis ins Dachgeschoss reicht“, aber dafür souverän eine angenehme Intimität schafft. Ihren Hörerinnen zur Seite steht in Fragen von Sehnsucht und Einsamkeit, von aktuellen Liebhabern und von verflossenen.

Sie selbst ist seit drei Jahren verheiratet mit Harris. Eine Konstellation, die unweigerlich erinnert an eine ähnlich gelagerte im Schwäbischen. Bintia und Harris muss man zugute halten, ihre Beziehung nicht so offensiv zu vermarkten wie Joy Denalane und Freundeskreis-Chef Max Herre. Dabei ging man auch in Berlin gemeinsam zum Geburtsvorbereitungskurs und teilt sich ganz gleichberechtigt die Erziehungsaufgaben.

Die erste gemeinsame Tochter von Bintia und Harris ist mittlerweile dreieinhalb Jahre alt und hört begeistert Sidos „Mein Block“. Der Rapper aus dem Märkischen Viertel mit seinen grobschlächtigen Reimen ist ein guter Freund und regelmäßiger Gast des Hauses. Der Rest des Sido-Albums allerdings wird dem Kinde vorerst vorenthalten – obwohl der eigene Vater darauf zu hören ist.

Im Unterschied dazu ist „b-ständig“ eindeutig jugendfrei. Und auch wenn das Album kein Erfolg wird, so taugt es doch wenigstens, um ihre demnächst zwei Kinder souverän in den Schlaf wiegen.

Bintia: „b-ständig“ (Beats arou./Sony)