Von der Kunst des guten Konsums

Umweltaktivisten organisieren Shoppingtouren für Jugendliche und klären dabei über Hintergründe begehrter Marken auf. Die Idee macht Schule

VON ANNETTE JENSEN

Patrizio zieht sein Hosenbein leicht hoch. Zum Vorschein kommen weiße Turnschuhe mit blauen Fenstern an den Hacken. „Das sind Nike airmax“, erklärt der 17-Jährige. Die seien zwar mit 125 Euro „schweineteuer“ gewesen und nach ein paar Monaten auch schon reichlich ramponiert. „Aber in Turnschuhen muss man sich fühlen, als ob man auf Wolken geht“, findet Patrizio – und das kriegt nur die Firma mit dem Haken so gut hin, glaubt er.

Patrizio steht in der Straßenbahn in Richtung Hannover-Innenstadt – und mit ihm die gesamte 10b der Käthe-Kollwitz-Schule. Eine konsumkritische Führung ist am heutigen Projekttag im Angebot. Und weil die Alternative zwei Unterrichtsstunden bei einem unbeliebten Lehrer ist, sind alle mitgekommen. „Keine Ahnung, was hier passiert“, sagt Marlis. „Ich konsumiere sowieso nie was“, gibt sie sich überzeugt. Unter Konsum verstehen die Kids Alkohol-, Zigaretten- und Drogengenuss – und Unmäßigkeit. Ihre Winterjacke oder die weißen Markenschuhe könnten jedenfalls nicht gemeint sein, glaubt Marlis; die braucht sie ja schließlich. Ärgerlich nur, dass Inga für ihr Paar 30 Euro weniger bezahlt hat, obwohl es bis auf das Firmenlogo genauso aussieht. „Ich hoffe mal, dass meine eine bessere Qualität haben“, tröstet sich Marlis.

Unter der Uhr am Kröpcke mitten in Hannovers Fußgängerzone erwartet die 25-Jährige Chrissi vom Jugendumweltbüro JANUN die 10b mit einem übervollen Einkaufswagen. Darin liegen so unterschiedliche Dinge wie Pappkartons für Hamburger, ein Kanister mit einer durchsichtigen Flüssigkeit und die Erde als aufblasbarer Gummiball.

Erste Station H & M. „Es ist eigentlich egal, ob wir hier oder vor C & A stehen“, stellt Chrissi klar. Severin bekommt die Erde in die Hand gedrückt und soll den Weg einer Jeans vom Baumwollfeld bis zum Ladenregal nachzeichnen. Globalisierung konkret: Der Rohstoff kommt aus Indien, gesponnen wird er in China auf Maschinen aus der Schweiz. Chrissi verteilt für jedes genannte Land ein Kärtchen an einen der Umstehenden. Gefärbt wird in Taiwan mit Chemie aus Deutschland, danach werden die Fäden nach Polen transportiert und dort verwoben. Reißverschluss und Waschanleitung stammen aus Frankreich, das Schnittmuster aus Schweden, zusammengenäht werden die Hosen schließlich auf den Philippinen. „Die Nähfabriken stehen fast überall auf der Welt in Freihandelszonen, wo keine Arbeitsrechte gelten“, erklärt Chrissi. Die Frauen dort arbeiten nicht selten 80 bis 90 Stunden pro Woche, die Luft ist staubig und in vielen Fabriken ist es brütend heiß. Manchmal wird sogar jeder Gang zum Klo kontrolliert, und wer sich gewerkschaftlich organisieren will, fliegt raus. „Schlimm“ findet das Mascha mit den rot gefärbten Haaren; jetzt hat sie noch ein weiteres Argument, warum sie sowieso nur selten neue Klamotten kauft. „Das ist schon interessant“, bestätigt Verena. Aber weil sie für ihre 130 Euro Taschengeld im Monat alle Hosen, Schuhe und Shirts selber kaufen muss und ihr Klamotten nun mal wichtig sind, sieht sie keinen Spielraum, mit ihrem Geld in fernen Landen für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Darüber kann Marlis mit ihren 22 Euro im Monat nur grinsen. Sie entdeckt ein anderes Problem: „Wenn ich die Sachen nicht mehr kaufe, dann verlieren die Leute ihre Arbeit und verdienen gar nichts mehr – und das nützt ja auch nichts.“

Wie sich der Preis für Markenklamotten zusammensetzt, macht Chrissi später vorm Schaufenster von Karstadt-Sport deutlich. Von einem Paar Turnschuhe für 100 Euro gehen gerade einmal acht Euro für Materialkosten drauf. Dann sollen die Schüler raten: Wie viel verdient die Markenfirma? Eine Schülerin wird kurzfristig zur Konzernvertreterin von Nike, Adidas oder Puma ernannt und bekommt 33 Euro ausgehändigt. Der Einzelhändler erhält 50 Euro. Und wie viel bleibt nach Abzug von Transport- und Verpackungskosten für die Fabrikarbeiterin übrig? Chrissi übergibt einem Mädchen die Lohntüte. Entsetzt stellt die fest, dass ganze 40 Cent darin sind. „Was denkt ihr, wie viel müssten die Frauen bekommen, damit sie ihre Kinder ernähren und zur Schule schicken könnten?“, fragt Chrissi in die Runde. 10 oder 20 Euro vermuten die Schüler. Doch tatsächlich sind es gerade einmal 76 Cent. „Dass das so krass ist, hätte ich nicht gedacht“, sagt Patrizio und wirkt ein bisschen bedröppelt. Chrissi verteilt Karten von der „Kampagne für saubere Kleidung“, mit denen man sich bei der Geschäftsführung über die schlimmen Arbeitsbedingungen bei den Lieferbetrieben beschweren kann. „Die werde ich garantiert bei meinem nächsten Schuhkauf abgeben“, sagt Patrizio. Und er nimmt sich vor, auch mit den Verkäuferinnen darüber zu sprechen.

Dass solche Proteste einen gewissen Erfolg haben, zeigt sich immer wieder. Im Frühjahr wurden zum Beispiel 300 indonesische Arbeiterinnen wieder eingestellt, die nach einem Streik für Mindestlöhne rausgeflogen waren. Immerhin haben sie jetzt feste Arbeitsverträge, in denen der Mindestlohn garantiert wird. Die Abnehmerkonzerne fürchteten um ihr Image und machten Druck auf den Zulieferer.

Für viele aus der 10 b ist die letzte Station des Rundgangs etwas Neues: Der Weltladen in der Lein-Straße, wo es ausschließlich fair gehandelte Waren gibt. „Ganz gemütlich hier“, finden einige Mädchen und begutachten Taschen, Mäppchen und Holztiere. „Alles schön bunt“, kommentiert Patrizio. Chrissi teilt eine Tafel Schokolade in 24 Stücke und lässt die Jugendlichen schätzen, welchen Anteil vom Verkaufspreis der Bauer bei einer normalen und einer fair gehandelten Tafel bekommt. In einem Fall sind es zwei, im anderen sieben Stücke. Was die Jugendlichen dann aber vor allem überzeugt ist der Geschmack. „Voll gut“, befindet Verena. „Die kauf ich bestimmt mal wieder.“ Und auch andere wollen den Laden beim nächsten Einkaufsbummel wieder ansteuern.