Warum Kreuzberg mit Herrn Lehmann nicht glücklich wird

Viele Gespräche beweisen: Der Film „Herr Lehmann“ (Regie: Leander Haußmann) über Kreuzberg und Kreuzberger 1989 macht Kreuzberger 2003 nicht glücklich.

1. Ein typisches Lehmann-Gespräch läuft derzeit so:- Brummel, brummel, dieser Christian Ulmen ist zu laut. - Und die Köchin chargiert. - Und Buck ist halt Buck. - Und worum es in dem Film eigentlich geht, wüßte man nicht, wenn es einem Christoph Waltz am Schluß nicht eins zu eins erklärt hätte. - Ja, Waltz ist gut, oder? - Ja, und die Trennungsszene im Döner am Kotti, die ist auch gut. Wo Herr Lehmann den Kristall-Rainer Fanta-Rainer nennt.(Nicken, Schweigen, neues Thema.)

2. Kreuzberger suchen in dem Film hektisch nach „Originalorten“.Daaaaa, das Kottbuser Tor. Das Prinzenbad, die Wiener hahaha. Usw.

3. Studio oder echt? Die ewige Frage. Fängt schon bei der Eingangszene an, in der Herr Lehmann früh morgens auf diesen Hund trifft. Laut Sven Regeners Buch ja direkt am Lausitzer Platz, 10997.- Das ist doch nicht der Lausi. Nie im Leben ist er das. - Aber die haben doch letzten Herbst am Lausitzer Platz gedreht. Hundertprozentig. - Das ist aber nicht der Lausi. Mancheche hoffen, es sei zumindest Waldemar Ecke Manteuffel oder Mariannen. Wahrscheinlich nicht mal das. Verdammtes Studio.

4. Neulich im Milchladen. Eisenbahnstrasse. Es ging mal wieder um die längstgeklärte Frage, ob denn die Szenen im Weltrestaurant Markthalle Pücklerstrasse wirklich in der Markthalle Pücklerstrasse gedreht seien.Idiotisch. Jeder weiss, dass die Markthalle in Köln im Studion nachgebaut wurde. Außer der Milchhändlerin. Die Milchhändlerin geht seit 15 Jahren in die Markthalle. Solange gibt es die Markthalle gar nicht. Egal. Jedenfalls kennt sie die Markthalle genau und hat sie im Film wiedererkannt. - Die Markthalle wurde in Köln nachgebaut. - Niemals. Nur die Szene mit den Eltern ist im Studio nachgespielt. - Aber schauen Sie doch mal, gute Händlerin: Zum Beispiel, dieserTisch steht da, wo es zum Klo geht. Soviel Platz ist doch da in echt gar nicht. Die Milchhändlerin wird sauer.

5. Im Restaurant Markthalle steht Alex hinterm Tresen. Wie jeden Abend. Wenn man ihn jagen kann, dann mit Herrn Lehmann. Nö, er kennt den Film nicht. Nö, er will ihn auch nicht kennen. Nö, er hat auch das Buch nicht gelesen. Das hat er auch schon der Welt bzw. der Berliner Morgenpost erzählt. Stimmt wirklich: Alex hat einen Zeitungsausschnitt, der das belegt.

6. Herr Lehmann läuft im Babylon, Dresdener Straße.„Herr Lehmann“ steht ranzig auf dem Billboard. Manchmal wünscht man sich, Tourist zu sein. Dann könnte man das Billboard fotografieren und zuhause aufhängen.

7. Neuerdings kommen seltsame Gruppen in die Markthalle. HabenKameras dabei. Gehen durch die Kneipe, schauen, sagen dann so Zeug wie: - „Hier saß der Herr Lehmann mit seinen Eltern.“ - „Und hier saß der Herr Lehmann, als die schöne Köchin an seinen Tisch trat.“ - „So schön ist die auch nicht.“ Dann bestellen sie einen Schweinebraten. Wie Herrn Lehmann und seine Eltern. Sind immer furchtbar enttäuscht, wenn sie hören, dass es gar keinen Schweinebraten

8. Es ist offenbar genauso, wie die Kreuzberger sagen:- Die Kreuzberger möchten sich in Herrn Lehmann wiederfinden, können es aber nicht. - Ja. Das ist aber nicht das Hauptproblem des Films. - Nein. Das Problem ist: Wäre es ein guter Film, müßte sich der Kreuzberger damit nicht beschäftigen. - Genau.

9. Leute, die nicht in Kreuzberg wohnen, können sich den Film sowieso schenken.

PETER UNFRIED

Film „Herr Lehmann“, z.B. Kino Babylon, Dresdener Straße, U 1/15 Kottbuser Tor. Weltrestaurant Markthalle, Pücklerstrasse, U 1/15 Görlitzer Bahnhof.