Der Sprint fällt aus

Der Spanier Igor Astarloa wird im kanadischen Hamilton neuer Straßen-Weltmeister der Rad-Profis. Die deutsche Mannschaft hingegen setzt vergeblich auf die Spurtkraft von Telekom-Star Erik Zabel

aus Hamilton SEBASTIAN MOLL

Der Rennausgang gab eigentlich keinen Anlass zu Jubel, doch die deutsche Truppe bei der Straßenrad-Weltmeisterschaft der Profis war im Ziel trotzdem gut gelaunt. „Da haben wir ganz schön lange gekämpft, um dann doch noch abgehängt zu werden“, flachste Erik Zabel, der Weltmeister hatte werden wollen und dann auf Platz 11 gelandet war. In den Worten lag kein Hohn und keine Bitterkeit. Es klang viel eher Freude über einen gelungenen Renntag durch, über ein gut geführtes Gefecht, an dessen Ende nur ein wenig das Glück gefehlt hatte: „Der Kick war da, das Feeling, die Spannung“, schwelgte Zabel noch Minuten nach Rennende im Rausch des rasanten Finales. Und bedankte sich für das Erlebnis bei seinen Schlachtgefährten: Einen nach dem anderen nahm er in den Arm, bevor sie im Camper des Teams verschwanden und sich fix mit einem nassen Waschlappen die Schmiere aus Schweiß und Dreck von 260 Straßenkilometern vom Leib rieben.

In der Tat: Das deutsche Team hatte sich nichts vorzuwerfen, und so weit entfernt, wie der elfte Rang dies nahe zu legen scheint, war der WM-Titel für Erik Zabel am Ende gar nicht. Die deutsche Mannschaft hatte in der letzten Runde eine vorentscheidende Attacke mit allen Favoriten pariert und damit Zabel wieder in Position für einen Sprint gebracht. „Aber dann ging das Ganze wieder von vorne los“, klagte Zabel – und für die zweite Offensive habe einfach die Kraft der deutschen Aufstellung nicht mehr ausgereicht. Sieben Sekunden Vorsprung rettete der spätere Weltmeister Igor Astarloa über die Kuppe des letzten Anstiegs vor der Meute unter Leitung der deutschen Fahrer. Das reichte dem Spanier, um nach knapp anderthalb Kilometern Abfahrt dann auch als Erster über die Ziellinie auf Hamiltons Main Street zu fahren.

Die deutsche Auswahl hatte alles auf die Karte Zabel gesetzt, sechs Stunden lang daraufhin gearbeitet, dass es zu dem Sprint kommt, der Zabel hätte zum Weltmeister machen können, dann aber nie stattfand: „Erik war derjenige, der hier die klarste Siegchance hatte“, rechtfertigte der Sportdirektor der Deutschen, der vom Team Telekom ausgeliehene Mario Kummer, das Vorgehen. „Wir haben mit vollem Risiko auf Sieg gesetzt, statt etwa Platz sieben anzupeilen.“ Matthias Kessler, Andreas Klier und Fabian Wegmann wären beispielsweise aussichtsreiche Fahrer für andere Situationen als den Spurt gewesen. Aber eben nicht so aussichtsreich wie Zabel im möglichen Schlusskampf auf der Zielgeraden.

Ähnlich wie die Deutschen waren auch andere große Radsportnationen an das Rennen herangegangen. Paolo Bettini, der Weltcupsieger aus Cecina, war etwa der unumstrittene erste Mann der Italiener –und am Ende Vierter. Einst waren die Italiener als Streithähne verschrien; noch vor zwei Jahren machte sich die Radsportwelt über Italien lustig, weil die vielen italienischen Stars bei der WM so offensichtlich gegeneinander arbeiteten. Seither hat jedoch der zweimalige Paris-Roubaix-Sieger Franco Ballerini im italienischen Verband das Sagen und die Squadra Azzura läuft wie eine gut geölte Maschine. Im vergangenen Jahr fuhren sie Mario Cipollini zum Sieg, in diesem Jahr ordneten sie sich vorbildlich der „Grille“ unter, wie Bettini genannt wird, weil er seinen Gegnern, dem Insekt gleich, davonzuspringen vermag. Wie die Italiener und die Deutschen hielten es auch die Belgier, die mit dem Flandern-Rundfahrt Sieger Peter Van Petegem einen klaren Chef ins Rennen schickten, der schließlich Dritter wurde. Doch die Taktik „Alle für einen“ war für diese Weltmeisterschaft nicht das richtige Rezept

Richtig machten es die Spanier. Sie hatten immerhin mit Doppelweltmeister Oscar Freire auch einen Mann in ihren Reihen, der in ihrem Team einen Status wie Zabel in Deutschland oder Bettini in Italien hätte in Anspruch nehmen können. Doch Freire war selbstlos – und somit die Spanier flexibel: „Ich habe vor dem Finale mit Oscar gesprochen“, so der neue Weltmeister, „und er hat mir gesagt, ich solle mein Glück versuchen.“ Freire selbst hielt sich zurück, für den Fall, dass es doch noch zu einem Sprint gekommen wäre.

„Alle für alle“ anstatt „Alle für einen“ – damit sind die Spanier nicht nur auf Rang eins und zwei bei dieser WM gelandet – mit den beiden vergleichsweise unbekannten Fahrern Astarloa und Alejandro Belmonte Valverde. Auf diese Art gewannen sie vier der letzten neun Titel. 1995 opferte sich der große Indurain für Abraham Olano, 1999 düpierte, wie in diesem Jahr Astarloa,der noch unbekannte Oscar Freire die Konkurrenz; und wiederholte seinen Coup 2001. „Die Spanier gewinnen, weil sie sich wie eine echte Mannschaft verhalten“, bestätigt Josa Garui, Reporter bei La Marca. Strenge Hierarchien und starre Strategien haben die Spanier nicht nötig – Kapitän ist der, der am Ende die Goldmedaille bekommt.