Das Ende einer großen Fahrt

Eitel ist all euer Streben! Der Künstler Kris Martin hat in der Galerie Johann König einen Heißluftballon aufgeblasen

Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es so schön. Nicht, dass da nicht hin und wieder was dran wäre, aber eine Frage muss erlaubt sein. Warum moralisieren Sinnsprüche im Deutschen so gerne? Liegt’s am Nationalcharakter, dem schrecklichen Erbe des Protestantismus oder noch Schlimmerem? Tatsache ist, dass der Angelsachse, insbesondere der aus dem amerikanischen Melting Pot, auch Grundsätzliches mit nüchterner Distanz zu konstatieren pflegt. What goes up, must come down, heißt es dort, wenn es den Umstand zu gegenwärtigen gilt, dass einer, der oben war, jetzt eben wieder unten ist. That’s it.

Solcherlei Meditationen provoziert die aktuelle Arbeit Kris Martins in der Galerie Johann König, die nur einen Katzensprung vom Potsdamer Platz entfernt in der Dessauer Straße sich befindet, und zwar inmitten der typischen Berliner Sozialbebauung der Achtziger. Tritt man in den Hof und von dort über eine ehemalige Laderampe in die Galerieräume, wird man im Eingangsbereich gebremst. Dort liegt der Korb eines Heißluftballons. Er ist an Schnüren befestigt, die in einen Ausstellungsraum führen. Er ist von der Hülle eines Ballons ausgefüllt. Zwei Ventilatoren sorgen dafür, dass dieser seine Position behält.

Mit Plastikpuschen angetan kann der Raum und somit das Innere des Ballons betreten werden. Kleine Löcher und allfällige Abnutzungserscheinungen des Tuchs zeigen, dass dieses Vehikel seine Schuldigkeit getan hat und nach vielen Reisen durch die Luft nun hier sein Altenteil als Kunstobjekt bekommt. Man plaudert mit anderen Vernissagenbesuchern, die allesamt dieselbe Frage umzutreiben scheint. Ist das jetzt alles? Wo ist der Kontrapunkt, oder will es der belgische Künstler bei diesem jahrmarkthaften Gimmick belassen?

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Ihn aber vor der Zeit zu kritisieren ist ebenfalls nicht angezeigt. Denn wer den Gang nach links geht, bevor er sich ins Innere des Luftbauches begibt, kann einmal um den ballongefüllten Raum herumgehen. Und siehe da, von hier aus gesehen quillt der Ballon ein wenig durch die hintere Tür in ein kleines Zimmer hinein. Dort hat Kris Martin seinen Kontrapunkt gehängt. Es ist ein großformatiges Foto eines majestätischen Berges. So stellt sich der Nichtalpinist die Eigernordwand vor. Tatsächlich handelt es sich ums Matterhorn, was in der Sache, um die es geht, keinen großen Unterschied macht. Hier zerschellt der Hochmut des kleinen Menschleins an Gottes mächtiger Natur. Über diesen Gipfel wird sich zumindest kein Ballonfahrer leichtsinnig wagen.

Der 1972 geborene Martin hat sich in Berlin bei einer der vergangenen Biennalen mit einer Arbeit bekannt gemacht, die damals viele der Werke seiner MitkünstlerInnen blass aussehen ließen. In der Kirche in der Auguststraße, die dem Autor der Apokalypse, dem Evangelisten Johannes, gewidmet ist, hatte Martin eine Anzeigentafel aufgehängt, wie man sie vom Bahnhof oder Flughafen kennt. Sie ratterte vor sich hin, doch alle Bewegung auf der Tafel war sinnlos. Denn ihre Lamellen waren allesamt geschwärzt. Und so verhieß ihr Rattern eine nur trügerische Hoffnung, dass es Ziele gäbe, die anzusteuern nachdenkenswert wäre. Für jeden, der hinsah, offenbarte sich der Glaube, wir könnten unserem Schalten und Walten Sinn verleihen, als womöglich eitle Übung. „Vanitas!“, sprach die nihilistische Martin’sche Anzeigentafel.

Sein Ballon wiederholt diese Mahnung noch einmal mit einer anderen Nuance. Denn der gedachte Ballonfahrer war vielleicht so klug, zu bedenken, dass steile Bergwände, die Phallokratie oder ein virtuelles Finanzsystem jeden noch so gut durchdachten Plan durchkreuzen können. Er ist sodann in der Dessauer Straße gelandet, ausgestiegen und isst jetzt eine Currywurst vor der Nationalgalerie. Warum soll es nicht so gewesen sein? Die besseren Sprichwörter der Deutschen erzählen mit fabelhafter Projektion davon, dass nichts unmöglich ist im Leben der Menschen: Man hat schon Pferde kotzen sehen. ULRICH GUTMAIR

Dessauer Str. 6/7, Di.–Sa. 11–18 Uhr