Brasiliens grüner Querdenker mit Stil

Fernando Gabeira, Exguerillero und grünes Urgestein, kehrt Lulas Arbeiterpartei PT unter Protest den Rücken

„Das war unelegant“, sagte Fernando Gabeira am letzten Freitagmittag vor dem Präsidentenpalast in Brasília. Soeben hatte ihn José Dirceu, der Chefstratege von Präsident Lula, versetzt. Eigentlich sollte der 62-jährige Abgeordnete auf dem Treffen dazu gebracht werden, seinen angekündigten Austritt aus der Arbeiterpartei PT noch einmal zu überdenken. Doch der Preis dafür – deutliche Signale, dass die Regierung Lula die Umweltpolitik doch wichtiger nehmen will als bisher – war offenbar zu hoch.

In den letzten Wochen hatte eine umweltpolitische Sünde die nächste gejagt. Vor der Zulassung des Gensoja-Anbaus hatte Gabeira bis zuletzt um einen Aufschub gerungen. Dann verkündete Forschungsminister und Atomfan Roberto Amaral, Brasilien werde im kommenden Jahr die Produktion von angereichertem Uran aufnehmen. Schließlich verwüsteten hunderte Anwohner mit tatkräftiger Unterstützung lokaler PT-Politiker Teile des Nationalparks nahe der berühmten Iguaçu-Wasserfälle, um dort den Bau einer Straße durchzusetzen.

Neben Umweltministerin Marina Silva, die weiter an Boden verliert, ist Gabeira der profilierteste brasilianische Ökosozialist. Mitte der Achtzigerjahre gehörte er zu den Gründern der Grünen, kandidierte 1986 für das Gouverneursamt in Rio und drei Jahre später für die Präsidentschaft. Jenseits von Parteiprogrammen spielt er – mit Eleganz und Lust an der Provokation – gerne eine Vorreiterrolle bei gesellschaftlichen Tabu- und Reizthemen: So macht er sich für die Legalisierung von Marihuana und der Prostitution stark, ergreift Partei für die inhaftierten kubanischen Dissidenten, setzt sich für die Belange von Schwulen und Lesben ein. Unvergessen auch, wie er vor gut 20 Jahren mit einem Häkeltanga über den Strand von Ipanema wandelte und damit eine heftige Debatte über den Machismo auslöste. Sechs Jahre lang saß er als einziger Grüner im Kongress von Brasília, bis er sich vor zwei Jahren der PT anschloss.

Parallel dazu machte Fernando Gabeira als Journalist und Schriftsteller Furore: Nach dem Mauerfall war er Deutschland-Korrespondent der Folha de São Paulo, der führenden liberalen Tageszeitung Brasiliens. Bestseller, Schullektüre und Filmvorlage ist seine autobiografische Abrechnung mit dem bewaffneten Kampf „Die Guerilleros sind müde“. 1967 hatte er seinen Job als leitender Redakteur beim Jornal do Brasil an den Nagel gehängt und sich der Stadtguerilla angeschlossen.

1969, mitten in der bleiernsten Zeit der Militärdiktatur (1964–85), gelang seiner Gruppe der aufsehenerregendste Coup gegen die Generäle: die Entführung des US-Botschafters. Nachdem das Regime 15 politische Gefangene ausgeflogen hatte, kam der Diplomat frei. Gabeira bezahlte die Aktion mit monatelanger Haft und Folter. Unter den freigepressten Genossen befand sich auch Studentenführer José Dirceu.

Gabeira, lange Jahre auch für deutsche Grüne der wichtigste Ansprechpartner in Brasilien, fühlte sich mit seinem Plädoyer für „Fantasie an der Macht“ immer unverstandener. Für ihn opfern Lula und Dirceu den Traum von Millionen einem „armseligen Verständnis von Regierungsführung“. Mit seinem Parteiaustritt hat er demonstriert, wie eng politische Inhalte und guter Stil zusammenhängen.

GERHARD DILGER