jenni zylka über Sex & Lügen
: Manga hier, Dagobert dort

Die Theorie besagt: Jungens brauchen Vorbilder, Mädels können auch ohne

Die Oma meiner besten Freundin wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Denn sie tätigte, als meine Freundin eines Nachmittags im gemütlich-rustikalen Omawohnzimmer saß und „Tom und Jerry“ guckte, den unvergesslichen Ausspruch: „Dass die Katze das alles mitmacht …“

Somit ist die Oma meiner besten Freundin nicht nur eine der reizendsten Omas meines Lebens, sondern auch noch die einzige Frau in meinem Bekanntenkreis, für die je die Grenze zwischen Trickfilm und Realität verwischte. Mit ihrer kopfschüttelnden und ernst gemeinten Sorge um die Cartoonkatze hatte sie sich weit in ein Terrain vorgewagt, in dem sich normalerweise nur Männer tummeln. Nie wieder davor oder danach habe ich eine Frau Zeichentrickfiguren mit der wirklichen Welt verwechseln sehen. Viele Männer dagegen, das wurde mir klar, als ich mit meinen dicken Fingern neulich ein paarmal zu oft neue Internettore bestätigte und mich plötzlich auf einer Mangasexseite wiederfand, scheinen diese Grenze ohnehin nicht wahrzunehmen.

Oder wieso gibt es Mangasexseiten, auf denen Comic-Bombshells mit großen, glitzernden Heidi-Augen und gut entwickelten, gezeichneten Frauenkörpern Stellungskriege mit anderen Mangafiguren treiben? Hat das etwas damit zu tun, dass sogar eine Heldin mit so vielen Talenten wie Lara Croft einen überdimensionierten Barbiebusen braucht, um die Spieler bei der Stange zu halten? Und gibt es wirklich einen Kitzel, wenn diese animierten Doppel-Ds beim kämpferischen Über-den-Berg-Springen tüchtig wackeln?

Die Männer, die ich dazu persönlich (aber nicht signifikant) befragte, wiesen es weit von sich, Anime-Comics oder Lara Croft erotisch zu finden, gaben aber eine gewisse Aufregung angesichts „mancher gut gezeichneter Erotik-Comics“ zu. (“Gut gezeichnet“ bedeutet hier wohl, dass man noch nicht bei hingestrichelten Busensymbolen oder geöffneten Kuli-Beinen an Klotüren heiß wird.) Ich versuchte, an Dagobert Duck zu denken, der ja immerhin stets mit ein paar der Insignien spielt, die für Frauen angeblich erotische Anziehungskräfte bergen: Geld, Macht, Alter. Aber bei mir rührte sich nichts. So wagte ich mich weiter vor: Tim von „Tim und Struppi“ ist gewiss ein netter Kumpel, Necking wollte ich nicht mit ihm (obwohl er in den verbotenen Bückwareversionen „La Vie Sexuelle de Tintin“ eine wirklich sehr erwachsene Figur abgibt). Genauso wenig wie mit Popeye oder irgendeinem Gallier oder Römer. Wenn ich mir einen Gallier – nur als guten Freund! – aussuchen könnte, nähme ich ohnehin Miraculix, der hat am meisten zu erzählen und legt zudem diese beruhigend-besserwisserische Onkelhaftigkeit an den Tag. (Zu lange Haare haben sie alle.)

Als feuchte Fantasie taugen diese Figuren jedoch nichts, das stellten meine Freundinnen und ich übereinstimmend fest. Liegt es also daran, dass das Trickfilmpendant zu, je nach Alter, Rudolpho Valentino oder Justin Timberlake, nur noch nicht adäquat (also realistisch) gezeichnet wurde? Das kann nicht sein: Die neuen Animationsfilme sind so real, dass ihre Protagonistinnen (wie vor einem Jahr in Japan) Fanpost von lebendigen Fans bekommen, wenn auch vermutlich von eher schlichten. Hat die Vorliebe damit zu tun, dass ohnehin mehr Männer als Frauen Comics anschauen? Haben Männer etwa mehr Vorstellungskraft?

Sie haben weniger. Frauen fehlt es nicht an Comicfiguren, sondern sie brauchen sie nicht für ihre Fantasien. Sie haben genug Bilder von echten Menschen gespeichert, die sie auf Abruf herauszaubern können, wenn es sein soll. Frauen können, das glaube ich aufgrund meiner (wiederum nicht signifikanten) Erfahrungen und Damenbefragungen, jederzeit aufregende Situationen mit irgendwelchen hergelaufenen Kerlen oder Weibsbildern imaginieren. Männer müssen viel öfter auf bekannte Bilder zurückgreifen. Und weil es einfach ist, sich solche Bilder durch Selberzeichnen zu erschaffen, lassen sie hin und wieder malen.

Mit diesem Gedanken im Kopf schlich ich anderntags durch einen Comicladen und blieb vor dem Regal mit „X-Men“-Comics stehen. Eine Gruppe von hyperintelligenten Mutanten schlägt sich durch das harte Leben, in ihrer Mitte ein wirklich gut aussehender Mutant namens Wolverine. Habe die gesamte Ausgabe gekauft. Ich werde meine genderspezifischen Comicerotiktheorien wohl noch mal neu überdenken müssen. Aber dafür sind Theorien ja da.

Fragen zu Fans? kolumne@taz.de