„Keine neuen Grenzziehungen“

Jugoslawiens Expräsident Vojislav Koštunica schlägt zur Lösung der Statusfrage des Kosovo ein unkonventionelles institutionelles Arrangement vor, das hohe Autonomie und zugleich eine Verbindung mit Belgrad ermöglicht

taz: Was erwarten Sie von dem heute in Wien beginnenden Dialog zwischen Serben und Kosovo-Albanern?

Vojislav Koštunica: Dieser Dialog soll die Klärung einiger lebenswichtiger Fragen vorantreiben. Ich würde die Frage der Rückkehr serbischer Flüchtlinge unterstreichen. Bevor dies Problem nicht gelöst wird, kann von Stabilität, Menschenrechten und Frieden im Kosovo nicht die Rede sein. Natürlich müssen dafür zuerst die Bedingungen geschaffen werden. Es reicht nicht, wenn Serben unter dem Schutz internationaler Truppen zu ihren Häusern begleitet weden. Sie müssen auch leben und überleben können. Die Ergebnisse in dieser Hinsicht waren im Kosovo enttäuschend, weniger als 1 Prozent der geflüchteten und vertriebenen Serben sind bisher zurückgekehrt. Mit Ausnahme einiger Gemeinden im Norden des Kosovo leben Serben in der Provinz wie in einem Ghetto.

Was hat Serbien getan, um die Lage zu normalisieren?

Belgrad hat ein Abkommen mit der UNO-Verwaltung unterzeichnet, das die gegenseitigen Beziehungen regelt. Serbische Behörden haben die im Kosovo verbliebenen Serben ermuntert, sich an Wahlen zu beteiligen, die neuen kosovarischen Institutionen anzuerkennen und in ihnen vertreten zu sein. Besorgnis erregend ist, dass diese Institutionen bisher nicht zur Stabilität beigetragen haben. Korruption und organisiertes Verbrechen, das extremistische Albaner finanziert, sind ein Riesenproblem.

Wie ist Serbiens Verhandlungsposition?

Serbien geht von der UN-Resolution 1244 aus, die das Kosovo als Teil Jugoslawiens beziehungsweise der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro definiert, die Flüchtlingsrückkehr vorsieht und Menschenrechte für alle garantieren soll. Serbien bewegt sich im Rahmen internationaler Abkommen über das Kosovo.

Wie ist die Sicherheitslage im Kosovo?

Weder hat Unmik den politischen Willen noch die Friedenstruppe Kfor den Mut, energisch mit kriminellen albanischen Gruppen im Kosovo abzurechnen. Man gewinnt den Eindruck, dass es die wichtigste Aufgabe dieser enormen Anzahl von Beamten, Soldaten und Polizisten ist, für die eigene und nicht für die Sicherheit jener zu sorgen, derentwegen sie sich im Kosovo befinden. Die Konsequenz einer solchen Haltung ist eine katastrophale Sicherheitslage.

Können Sie sich ein unabhängiges Kosovo vorstellen?

Nein, nicht zu unseren Lebzeiten. Auch deshalb nicht, weil sonst die Situation auf dem gesamten Balkan anders wäre. Das Kosovo kann man nicht isoliert betrachten, eine Statusveränderung hätte unmittelbare Auswirkungen auf das benachbarte Mazedonien. Die Folgen nationaler, wegen Territorien geführter Kriege spüren wir immer noch. Man sollte eine Lösung für das Kosovo anstreben, die neue Grenzziehungen ausschließt. Das ist eine Position, die immer mehr Anhänger in der internationalen Gemeinschaft findet und den Vorstellungen der EU entspricht.

Können Sie das erläutern?

Die Statusfrage des Kosovo sollte durch institutionelle Veränderungen im Rahmen vorhandener Grenzen gelöst werden. Die Region Westbalkan sollte allmählich der EU angeschlossen werden, was die Grenzfrage unbedeutend machen würde. Man müsste in der Zwischenzeit ein unkonventionelles institutionelles Arrangement finden, wie man es in Bosnien-Herzegowina und in Mazedonien schon getan hat. Das Belgrader Abkommen, auf dem die Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro gründet, ist auch eine unkonventionelle Lösung. In all diesen Fällen kann man nicht von einer traditionellen Staatsform, einer Föderation oder Konföderation, reden. Man sollte eine neue Formel finden, die dem Kosovo hohe Autonomie ermöglicht und es zugleich mit Belgrad verbindet. Bedingung ist natürlich, dass im Kosovo Menschen- und Minderheitenrechte geachtet werden.

INTERVIEW: ANDREJ IVANJI