Die Ohren sausen im Ozean

Die Nato schickt extrem laute Schallwellen in die Weltmeere, um feindliche U-Boote zu orten. Umweltschützer wollen die Spähakustik stoppen, die bald 75 Prozent der Ozeane umspannen soll. Denn der Krach lässt das Trommelfell der Wale platzen

aus Hamburg TORSTEN ENGELBRECHT

Die US-Navy und andere Nato-Staaten testen zurzeit so genannte niedrigfrequente aktive Sonarsysteme, die Low Frequency Active Sonars, LFAS, die sie zur Ortung feindlicher U-Boote in 75 Prozent der Ozeane einsetzen wollen. Der Schallpegel beträgt bis zu 240 Dezibel und ist damit mehr als eine Milliarde Mal lauter als 120 Dezibel – die Schmerzgrenze für den Menschen.

„Für Menschen wäre es so, als stünde man neben einer Saturnrakete, die gerade startet“, so Sigrid Lüber, Präsidentin der Arbeitsgruppe zum Schutz der Meeressäuger Schweiz (ASMS). Und selbst für Wale und Delphine, die Gesänge zur Orientierung oder zur Partner- und Nahrungssuche einsetzen, sei die Beschallung zu viel. Das hätten Autopsien von gestrandeten Walen gezeigt, bestätigt Marsha L. Green vom Ocean Mammal Institute.

Gestern überreichte die ASMS dem Nato-Generalsekretariat in Brüssel deshalb eine Petition von 67 internationalen Organisationen mit 85.000 Unterschriften, die sich zugleich an die US-Regierung wendet. Sie fordern erstens, dass die Seestreitkräfte den Sonarlärm eindämmen. Zweitens soll es ein Moratorium geben, bis die Folgen der Sonarbeschallung durch eine unabhängige Institution eindeutig geklärt sind.

Die US-Bundesrichterin Elizabeth D. Laporte gab im August der Auffassung von Umweltorganisationen Recht, dass LFAS Wale taub und aggressiv machen und zu verändertem Fress- sowie Paarungsverhalten führen können. Manche Wale strandeten, andere stürben im Wasser. Besonders betroffen seien Grauwale, von denen es nur noch 100 Exemplare gibt, aber auch Schildkröten, Fische oder Krabben. Und selbst Menschen sind gefährdet.

„So beschwerte sich 1993 die Regierung Frankreichs bei der Nato“, so Joel Reynolds von der Umweltorganisation Natuarl Resources Defense Council. „Das Militärbündnis hatte im Mittelmeer LFAS getestet – Taucher an der 350 Kilometer entfernten Küste von Marseille wurden gestört. Auch ein Todesfall wurde damit in Verbindung gebracht.“ „Das Anliegen, 75 Prozent der Weltmeere mit LFAS beschallen zu wollen, ist illegal“, so Laporte. Trotzdem erlaubte sie, LFAS-Tests in Friedenszeiten in walreichen und untiefen Gewässern. Noch ist unklar, ob die Navy gegen das Urteil Einspruch erhebt.

Das Urteil erfasst den zweiten Typ des aktiven U-Boot-Ortungssonars – die mittelfrequente Variante – sowieso nicht. Deren Schallwellen sind im Wasser langsamer als die der LFAS, doch sind sie nicht weniger laut und werden öfter getestet. „Da moderne U-Boote und Torpedos hinsichtlich geringer Schallemission optimiert sind, kann der Gefährdung von Überwasserschiffen nur durch aktive Sonarsyteme wirkungsvoll begegnet werden“, so Rainer Kümpel, Sprecher für die Nato beim Bundesverteidigungsministerium. Auf niederfrequente und mittelfrequente aktive Sonaranlagen könne nicht verzichtet werden.

Die US-Navy musste – nachdem sie eine Studie in Auftrag gegeben hatte – selbst eingestehen, dass ihre mittelfrequenten Sonare die Ursache waren für die Strandung von sechs Walen auf den Bahamas im März 2000. Laut einer Untersuchung der Zoological Society of London, die in der aktuellen Nature veröffentlicht ist, sind im September 2002 auch auf den Kanaren 14 Schnabelwale durch Sonarlärm nur vier Stunden nach Beginn der Tests gestrandet. Vom Krach verwirrt, waren sie zu schnell aufgetaucht. Nach Manier der „Taucherkrankheit“ bildeten sich Gasbläschen, die ihnen die Blutbahnen verstopften.

Und selbst Blauwale – nicht nur die größten, sondern mit Gesängen von 180 Dezibel auch die „lautesten“ Lebewesen der Erde – sind betroffen. Lüber: „Gerade bei einem Einzelgänger wie dem Blauwal ist die Störung der Kommunikation durch Lärm wie LFAS fatal, die Suche nach Paarungspartnern wird noch schwieriger.“