Ein Jahrhundert auf Brettern

Das Theater Dortmund beging seinen 100. Geburtstag mit allerlei Prominenz aus Wirtschaft und Politik. Neben feierlichen Worten wurden allerdings auch kritische Töne angeschlagen

Der Kämmerer einer Stadt sollte am besten auch Kulturdezernent sein

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Derlei Ruhm und Ehre kam dem Dortmunder Theater wohl gerade Recht. Ausgerechnet im Jahr seines hundertjährigen Bestehens sahnte das Schauspiel des Vier-Sparten-Hauses den ersten Preis beim NRW-Theatertreffen ab. Und das Fachblatt Die deutsche Bühne resümierte, Dortmund habe sich mittlerweile „zu einer der interessantesten Bühnen in NRW“ gemausert. Der Stolz darauf, sich nun in mancherlei Hinsicht nicht mehr hinter anderen, vielleicht namhafteren Bühnen des Landes verstecken zu müssen, war bei der Jubiläums-Gala am Freitag allenthalben zu vernehmen.

Denn an diesem Tag vor einem Jahrhundert tönte Richard Wagners „Tannhäuser“ erstmals über die Bühne am Hiltropwall und markierte damit den Beginn einer Zeit, die viele Höhen kannte, aber auch ebenso viele Tiefen. Man denke nur an den Zweiten Weltkrieg, in dem das Haus in Schutt und Asche fiel. Das ist traurige Geschichte, wie sie derzeit wieder im Kino gezeigt wird, Geschichte mithin, die das Haus sicherlich geprägt hat. Bei der Gala aber zeugten nur einige Film- und Bilddokumente von dieser düsteren Zeit.

Schließlich galt es ja zu feiern, wozu sich die Dortmunder allerlei Prominenz aus Wirtschaft und Politik eingeladen hatten, die dann Sekt nippend durchs Opernhaus stolzierten, vorbei an üppigem Rokoko-Pomp, an Damen in Reifröcken und laufenden Fliegenpilzen. Neben Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) zählte auch NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) zu den Gratulanten. Der Anfang des vergangenen Jahrhunderts, sagte Vesper, sei wahrlich eine Gründerzeit gewesen. Damals, im Jahr 1904, habe nicht nur das Dortmunder Schauspiel eine Heimat bekommen, auch „mehr oder weniger bedeutende Fußballvereine“ seien dereinst gegründet worden. Weniger bedeutend? Ein Satz, mit dem man in Dortmund nur punkten kann.

Doch neben der Freude an der runden Zahl kamen zuweilen auch kritische Töne auf. Meistens handelten sie vom ewig gespaltenen Verhältnis zwischen Kultur und Politik, zwischen hehrer Kunst und den niederen, aber bitter notwendigen Finanzen. Während OB Langemeyer der Kultur noch jeden Gewinn absprach und bloß trocken über den „Nutzen“ des Theaters dozierte, flachste Vesper in altbekannter Manier: „Am besten wäre es, wenn der Kämmerer einer Stadt auch Kulturdezernent wäre – vielleicht können wir das ja mal in der Landesregierung aufgreifen.“

Besonders kritisch gesonnen war der Festredner und ehemalige Staatssekretär Ludwig von Pufendorf, der neben dem Lob für die Stadt Dortmund – er nannte sie eine „Insel der Seligen“ – auch allgemeine Missstände ansprach. Um seine Handschrift entwickeln zu können, benötige ein Bühnen-Intendant mindestens vier bis fünf Spielzeiten, sagte Pufendorf: „Ein Kulturpolitiker, der einen Intendanten schon nach zwei bis drei Spielzeiten absetzt, hat seinen Beruf verfehlt.“ Deutliche Worte, die nicht Dortmund, aber ganz sicher der Deutsche Gewerkschaftsbund an sich adressiert lesen darf. Denn bekanntlich wurde Ruhrfestspiele-Leiter Frank Castorf in Recklinghausen bereits nach einer einzigen Saison in die Wüste geschickt.

Der Gala indes merkte man an, wie tief das Genre Oper in der Historie des Dortmunder Hauses verwurzelt ist. „Fidelio“ und „Don Carlos“ machten sich ordentlich breit, das Ballett hingegen blieb in der Kulisse. Aber nicht mehr lange, denn die Jubiläums-Spielzeit ist sehr gut bestückt. Neben einer großen Ballett-Gala Ende September steht kurz vorher bereits das neueste Schauspiel-Projekt ins Haus: die „Sternstunden des Expressionismus“, ein Theaterfest mit sage und schreibe zehn Premieren an einem Abend auf allen Bühnen des Hauses. Ja, genau so wird Geburtstag gefeiert: Bescheidenheit ist zwar eine Zier. Aber man wird halt nicht ständig Hundert.