Lienens Schwermut

Der Ligaletzte heißt Hannover: Nach dem 0:3 in Bremen schickt sich der Gästetrainer an, in eine verfrühte Herbst-Depression zu verfallen

Von Benno Schirrmeister

Er ist untröstlich. Wenige können so leichenbitter in die Runde blicken, wie Ewald Lienen, der Trainer von Hannover 96. „Die Regel kann man gerne ändern“, sagt er, als Werder-Coach Thomas Schaaf, als vollendeter Gastgeber erklärt, dass aus seiner Sicht eine Rote Karte zu viel der Strafe sei. „Die Regel kann man gerne ändern“, sagt also Lienen, „aber das Spiel ändert das doch auch nicht mehr.“

„Kopf hoch, Ewald!“, möchte man ihm zurufen. Das wird schon wieder! Aber das wäre zwecklos. Denn Lienen badet gerade so schön in seinem Weltschmerz. Alles, was Hoffnungsschimmer für Hannover 96 sein könnte, resümiert er, als hätte ihn jemand persönlich gekränkt: Sachlich korrekt stellt Lienen fest, dass die Roten im Weserstadion in der ersten Halbzeit die „aggressivere Mannschaft“ gestellt hätten – trotz früher Unterzahl. Das sagt Lienen jedoch nur, um anschließend zu befinden: „Das ist nun alles Makulatur.“ Auch da hat er Recht. Hannover ist seit Samstag, 17.15 Uhr siegloser Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga. Aber ehrlich gesagt: positive thinking hört sich anders an.

Ja, die Notbremsen-Regelung: Spielentscheidend war tatsächlich Dariusz Zuraws Foul in der 18. Minute. Zuvor hatte Johan Micoud Ivan Klasnic steil in den Strafraum geschickt, der spitzelte den Ball nach rechts, wo Nelson Valdez den Verteidiger überholte. Müßig die Diskussion, ob 96-Torwart Robert Enke, der mehrfach in vergleichbaren Eins-gegen-Eins-Situationen klärte, auch in diesem Fall gegen den rasenden Paraguayo eine Chance gehabt hätte: Zuraw ließ Valdez drei Meter vor dem Gehäuse abheben. Dafür zeigte Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich der Defensiv-Kraft die Rote Karte. Den anschließenden Strafstoß schoss – aufreizend cool – der Bremer Chef-Verteidiger Valérien Ismaël. Zehn Minuten später hätte er das, regelkonform, noch einmal tun dürfen; allerdings erkannte Fröhlich auf Überschreiten des Tempolimits: Anstelle von 96er-Verteidiger Steven Cherundolo, der dem schnellen Südamerikaner recht rustikal in die Waden gehüpft war, verwarnt er Valdez.

Danach tröpfelte das Spiel: Werder beherrschte zwar das Mittelfeld, aber wusste damit nichts anzufangen. Pässe ins Nirwana, sinnarme Distanzschüsse, und ein Petri Pasaanen, der über die rechte Bahn torkelte, als hätte er sich vor der Partie Mut angetrunken – das war’s vom Meister. Die Gäste konterten. „Klar kann man bei Bremen verlieren“, befand rückblickend Hannover-Schlussmann Robert Enke. Und man sei ja „ganz gut“ gewesen. Aber „in manchen Situationen müssen wir einfach mal einen machen“. Gedacht haben wird er da wohl an Jiri Stajners Kopfball an die Unterkante der Latte. Und vor allem an jenen Riesenpatzer von Werder-Keeper Andreas Reinke, der in der 28. Minute den Strafraum verließ, während Stajner inklusive Ball rechts an ihm vorbeieilte. Flanke in die Mitte, aber dort erwischt Ismaël das Leder noch vor Leandro Fonseca – alles Makulatur.

Versöhnlich allerdings das Ende des Tages für einen anderen designierten Verlierer: Trotz akuter Personalnot – sechs Stammspieler fehlen – hütete Nationalstürmer Miroslav Klose die Werder-Bank. 70 lange Minuten. Und als Ludovic Magnin nach einer Stunde eingewechselt worden war sogar als einziger Profi zwischen drei ambitionierten Amateuren.

Zehn Minuten vor Schluss aber köpft er nach perfektem Zuspiel Magnins wuchtig auf Micoud: Das 2:0, die Entscheidung. Zwei Minuten später trifft Klose selbst zum Endstand – wieder nach einem Querpass des Schweizers. Klar doch: Thomas Schaaf wiegelte die Frage, ob Klose damit einem Stammplatz näher rücke, ab. Aber festzuhaltenbleibt: Im Fernduell mit Vorgänger Ailton baut Klose seine Führung aus. Der Neu-Schalker nämlich hat noch gar nicht getroffen. Damit ist Klose bereits einen Schritt weiter als der bedrückte Ewald Lienen. „Wir müssen versuchen, die negativen Gedanken beiseite zu schieben“, sagt Trauerkloß Ewald, während Klose seine Treffer vorzüglich als Anti-Depressiva für die kommenden Spiele nutzen kann.