Sag zum Abschied leise Servus!

Wolfgang Wieland, Faktotum der Hauptstadtgrünen, steht nach zwei Monaten hartem Wahlkampf und wenigen Prozenten in Potsdam vor großen Fragen: Weitermachen? Däumchen drehen?

VON STEFAN ALBERTI

23 Grad, 71 Prozent Luftfeuchtigkeit, Wolken. Zumindest das ist eindeutig. Fast alles andere ist ungewiss an diesem Wahlsonntag, wie ihn Wolfgang Wieland trotz vieler Wahlkämpfe noch nicht erlebt hat. Es ist der Sonntag, der entscheiden wird, ob Schluss für ihn ist mit der Politik. Jedenfalls mit der in den Parlamenten – und mit der bis 2006. Oder ob er das schier Unmögliche vollbringt und die brandenburgischen Grünen wieder in den Landtag bringt. Minister, die in zwei Bundesländern amtierten, gab es mehrere. CDU-Mann Schönbohm zum Beispiel, Wielands Lieblingsgegner, war schon in Berlin Chef des Innenressorts. Aber einer, der nacheinander Fraktionschef in zwei Ländern wird? Nicht bekannt.

Sonntag. Es ist Wielands erster Tag ohne Wahlkampf. Nach über zwei Monaten, mit drei Terminen täglich, im Schnitt. Darunter große, mit mehreren hundert Teilnehmenden wie beim Wahlkampfabschluss mit Joschka Fischer. Kleine, die zur trauten Runde unter Pressebegleitung verkümmern.

So war es vergangenen Montag in Neuruppin, wo Wieland mit seinen Leuten gegen Filz im Rathaus protestierte. Er referierte, wie anscheinend eine Hand die andere wäscht. Filz und fehlende Transparenz waren schon in Berlin seine Lieblingsthemen. Nach ein paar Minuten fragt eine Journalistin leise den örtlichen Grünen-Chef, wer denn da gerade redet: Ah, Wieland! Der Name sagt ihr etwas, der Mann da vorne nicht. Wie gesagt, zwei Monate Wahlkampf mit rund 100 Wieland-Terminen.

All das liegt jetzt hinter ihm, als der Ex-Justizsenator und gebürtige Berliner kurz vor zwölf in einer Kita in Potsdam-Babelsberg wählen geht. Das „kurz vor“ ist wichtig, deswegen hat extra noch der Regierungssprecher angerufen. Denn um Punkt zwölf gibt in ebendieser Kita auch Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Matthias Platzeck seine Stimme ab. Die Promis in einer Wartereihe, das käme nicht gut. Bei über 3.300 Wahllokalen ist es Zufall, dass beide zur gleichen Urne gehen. Erst im Mai hatte Wieland, der überzeugte Kreuzberger, sich in Babelsberg eingemietet. Das ist Voraussetzung, um eben heute in Brandenburg antreten zu können. Nach 17 Jahren verlor er durch den Umzug sein Mandat im Berliner Abgeordnetenhaus.

Ein großes Opfer? Nein, wohl kaum. Als einfacher Abgeordneter habe er sich mehr gelangweilt, als er sich hätte vorstellen können, klagte er der taz im März. Gut ein Jahr hatte er es ohne den Fraktionsvorsitz ausgehalten – und ohne die bescheidene Macht, die mit der Opposition verbunden ist.

Je langweiliger es Wieland wurde, desto verlockender erschien die Offerte der Brandenburger Grünen. Die hatten geduldig seit Ende 2001 immer mal wieder bei ihm nachgefragt, als die Berliner Parteifreunde nach ihrem kurzen Regierungs-Intermezzo wieder in der Oppositionsrolle landeten.

Noch mal was reißen, das Unmögliche möglich machen, die Brandenburger Grünen nach zehn Jahren aus dem politischen Niemandsland bei 1,9 Prozent abholen und zurück ins Parlament führen. Wieland nahm zu Jahresbeginn an und gab als Wahlziel großspurig nicht nur die dafür nötigen 5, sondern gleich 7 Prozent aus.

In der zum Wahllokal umfunktionierten Kita der katholischen St.-Antonius-Gemeinde stellen Fotografen und Kameraleute auf Wieland ihre Objektive scharf, bei der Stimmabgabe, als Tonprobe, wenn er sagt, „passendes Wahlwetter, gemischt wie die Prognosen“. Für sie ist er nur der Statist. Als er winkend über den Kirchhof davonradelt, schwenken die Objektive am anderen Ausgang schon auf Platzeck, der kurz danach erscheint. Die Grünen haben angekündigt, sie würden Platzeck mitwählen, Hauptsache, Schönbohm wird nicht Landeschef. So verhasst der CDU-Mann vielen Grünen ist: Für Wieland war er ein Grund, die Spitzenkandidatur zu übernehmen. Endlich wieder jemand, mit dem er würde ringen und streiten können.

Später am Nachmittag tagt der Landesvorstand. Nett haben sich die Brandenburger Grünen eingemietet, im schnieken Holländischen Viertel. Man telefoniert mit der Bundesspitze und den sächsischen Grünen, die ebenfalls auf ein Ende ihres außerparlamentarischen Daseins hoffen. Zwei,drei Stunden noch, bis auf ARD und ZDF die ersten Prognosen über den Bildschirm gehen.

Und wenn es nicht klappt mit dem Landtagseinzug? Mitte August schockte eine Forsa-Umfrage die Grünen: Nur 3 Prozent. Von den folgenden sieben Umfragen sahen fünf die Grünen dann aber doch über der Fünf-Prozent-Hürde. Doch der Schreck ist nicht vergessen.

Die Brandenburger Grünen wollen Wieland auch nach einem Scheitern halten. Dank einer kürzlichen Satzungsänderung bräuchte er dazu nicht einmal in Babelsberg gemeldet zu bleiben, sagt Landeschef Joachim Gessinger. „Darüber müssten wir erst reden“, wiegelt Wieland ab, der wieder als Anwalt arbeiten würde, „eine entsprechende Zusage hat es von mir wohlweislich nicht gegeben.“ Nur etwas mehr als eine Dreiviertelstunde dauert es mit U- und S-Bahn von Kreuzberg bis Potsdam. Eine kleine Dienstfahrt in ein großes Grünen-leeres Land.

Die Prognose rückt näher. Klappt’s nicht, muss das nicht das Ende für den Leib-und-Magen-Politiker Wieland sein. In zwei Jahren sind Bundestagswahlen – eine Kandidatur könnten die Berliner Grünen ihrem langjährigen Zugpferd kaum verwehren. Er werde sich nicht in den Schaukelstuhl setzen und auf die nächste Wahl warten, hat er zwar gesagt, aber auch nichts ausgeschlossen.

18 Uhr. Wieland und die Grünen-Spitze haben sich im Landtag auf dem Brauhausberg versammelt, enttäuscht starren sie auf die Bildschirme. Die ersten Hochrechnungen prophezeien 3,5 Prozent für Wolfgang Wieland und die Grünen. Das muss noch nichts heißen, meint einer trotzig und weiß doch: Das war’s. Für die Brandenburger Grünen und für Wolfgang Wieland. Er hat das Grünen-Ergebnis von 1999 fast verdoppelt. Na ja, er wollte halt noch mal was reißen. Jedenfalls in Potsdam. 18.30 Uhr: Wolfgang Wieland sagt ernst: „Ich bin enttäuscht, aber gefasst.“