Dem das Herz im Auge schlägt

Angstgeweitete Nasenlöcher am Wahlabend: mit Manfred Stolpe vor dem Fernseher

Stolpes Atem stottert, sein Blick fällt auf seine vom vielen Konspirieren kurzen Beine

Mit schlotternden Zähnen sitzt er am Sonntagabend vor dem Fernseher und verfolgt die Hochrechnungen aus Brandenburg: Manfred Stolpe. Mit flatterndem Hirn betet er um ein Wunder, dass die SPD doch noch eine pralle Mehrheit eintüte und in Potsdam Platzeck Platzhirsch bleibe. Heftig schlackert sein Herz in der aufgewühlten Brust. Eine Frau, es ist seine eigene, schlingt beruhigend einen einzelnen Arm um seinen zitternden Leib, aber seine bebenden Augen erkennen sie nicht mehr.

Das schiere Entsetzen, dass Matthias Platzeck auf der Kippe steht und die SPD in die Grube rollen könnte, schreit aus Stolpes angstweiten, beinah schon faustgroßen Nasenlöchern. Mit vor Aufregung tropfenden Händen streicht er sich durchs fieberheiße, dampfende Haar. Erst vor zwei Jahren hatte er Platzeck jenes landesherrliche Amt übereignet, das er selbst seit 1990 auf dem Buckel hatte. Und jetzt droht derselbe Platzeck die Wahl mit allen Pauken zu vergeigen und danach womöglich sein, Stolpes, Berliner Bundesministerium für Verkehr und Wohnungsbau in den eigenen Hosenbeutel zu stecken. Denn irgendwo muss Platzeck ja hin! Die Gebete laufen Stolpe über die Lippen wie Ameisen über den Brandenburger Sandboden.

Das ausgerechnet ihm! Ihm, der immer mit den Machthabern auf Ich und Du stand, um ihnen als Sekretär von oben bis unten zu dienen! Mit glühender Schläfe starrt Stolpe auf den Fernsehmonitor, der wie seine vier Buchstaben flimmert. War er dazu am 16. Mai 1936 in Stettin als Sohn des Chauffeurs eines Greifswalder Bischofs in Gottes großen Zoo aufgenommen worden, um seine späten Tage bei Weihwasser und Gnadenbrot in irgendeinem Altenteil abzusitzen? Hatte er sich dafür sein Jurastudium in der DDR von der Rübe abgespart, hatte er sich deshalb in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg vom Referendar bis zum Oberkonsistorialrat hoch gefrömmelt und den Evangelischen Kirchenbund der DDR in seinen Fingern gehabt, hatte er zu diesem Ende mit den Menschen und den Mächtigen unter der Decke gekungelt und gern den einen von den anderen erzählt, nur um demnächst von Schröder kalt weggesegnet zu werden?

Stolpes Atem stottert, sein Blick fällt auf seine vom vielen Konspirieren kurzen Beine. Aber er braucht sich nichts vorzuwerfen, als IM Konsistorialrat wurde er von Honecker nie geritten.

Dicke Stressbeulen stehen Stolpe violett im Gesicht, der vom Schweiß glitschig ist wie ein Stück Seife. 1989, als die DDR aus den Fugen tanzte, drohte seine Biografie schon einmal im Unterhemd dazustehen. Aber im Juni 1990, als er sah, dass die Vergangenheit keine Gegenwart mehr hat, legte er bei der SPD an und bekam zum Lohn noch im selben Oktober Brandenburg zugespielt. Und statt nach seinem Rücktritt im Juni 2002 die Socken für immer hochzulegen, hatte er sich im Oktober 2002 das Bundesministerium ans Bein gebunden, damit auch ein Ostdeutscher am Kabinettstisch Wurzeln schlägt und mit seinem Stuhl für die Männer und Frauen zwischen Elbe und Oder einsteht. „Das Herz“, zitiert Stolpes Gehirn seinen Mund von einst, „schlägt da, wo man den Leuten in die Augen geguckt hat!“ Dieses anatomische Rätsel scheint sich nun im doppeltsten Sinn aufzulösen.

Seufze stolpt, nein: Stolpe seufzt, als ächze ein morsches Schiff stöhnend im Sturm der Zeit. Sein Magen rotiert, sein Darm eiert rauf und runter. Die inneren Organe schlingern durch den Bauch. Und das, wo stets der gute Wille an meinen Händen klebt und ich immer bestrebt bin, Hoffnungen in den Himmel zu heben! Deshalb doch spendiere ich als Bauminister einen großen Topf, um Plattenbauten zu sanieren, die danach mithilfe anderer Töpfe abgerissen werden! Deshalb doch füllte ich als Ministerpräsident die Zukunft mit heißer Luft, schoss Geld wie Sand in den Lausitzring, in die Chipfabrik in Frankfurt (Oder) und an den Cargolifter in Brand am Spreewaldrand, das komplett an den Pleitegeier verfüttert war, darum doch warf ich Kies wie Heu in den Chemiestandort Premnitz und den Umbau von Wünstorf-Waldstadt-Woauchimmer zur Wohnsiedlung für Bundesbeamte, was alles in die Katz gegangen ist, deswegen doch stopfte ich Schotter wie Steine in jene teure Landesentwicklungsgesellschaft, die inzwischen vollständig geplatzt ist.

Stolpe schnauft, dampft, wallt und brodelt. Darum doch auch, riesige Blasen kochen aus seinem Körper, das Mautsystem, das mit aller Asche bis heute ein Loch in Höhe von dreieinhalb Milliarden angerichtet hat! Einzelne Körperteile lösen sich von Stolpe, rollen über den Boden. Dem Platzeck, runkelt es mit letzter Kraft durch Stolpes Reste, kann das alles Wurst wie Käse sein, entweder … Potsdam oder Berlin … er mein Amt … damit versorgt!!

Dann ist es still. PETER KÖHLER