nebensachen aus peking
: Vorgetäuschtes Einverständnis deckelt Apathie und Ahnungslosigkeit

Eine Vielzahl Chinesen sagt, sie bräuchten eine starke Regierung, weil ihr Land und die Anzahl seiner Einwohner so groß sei. Dagegen lässt sich auf Anhieb wenig einwenden. Doch erweist sich diese Rechtfertigung meist als Schutzbehauptung. Denn im Grunde ist die regierende KP nicht sehr beliebt und soll aus dem eigenen Leben fern bleiben. So verbergen sich oft Apathie und Ahnungslosigkeit hinter dem nach außen vorgetragenen Pauschaleinverständnis mit der Regierung.

Den Pekingern beispielsweise, die doch von sich meinen, die politisch gebildetsten Bürger des Landes zu sein, entgeht der momentane Machtkampf in der KP gänzlich. Wer sie fragt, ob Parteichef Hu Jintao oder sein Vorgänger Jiang Zemin, der weiterhin als Militärchef dient, heute die Nummer eins im Land sei, erntet uninformierte oder gar gelangweilte Antworten. Dabei dreht sich in der chinesischen Politik traditionell alles um die Machtfrage im Zentrum. Wer sie ausklammert, verhält sich wie ein Christ, der nicht von Gott redet.

Da scheint der amerikanische Präsident George W. Bush den Menschen Chinas näher als die eigenen Regenten. Über George W. Bush und seine Wiederwahlperspektiven lässt sich heute auch in China überall streiten. Die Menschen vertreten hierzu klare Meinungen: Die einen verstehen, dass die USA als Führungsmacht im Irak keine Schwäche zeigen dürfen, die anderen geiseln den Neoimperialismus Washingtons. Ähnlich kontrovers wird über chinesische Politik allenfalls in den kleinen Dissidentenkreisen diskutiert. Das ist erstaunlich, da ein Meinungsverbot im privaten Rahmen wahrlich nicht mehr existiert. Warum also nutzen die Chinesen ihre neue Meinungsfreiheit nicht stärker aus?

„Wir gießen ständig neues Wasser auf, aber die Kräuter bleiben dieselben“, sagt ein alter Kung-Fu-Lehrer in der Pekinger Arbeitersporthalle. Er meint, die Politik bleibe immer dieselbe und Gerechtigkeit in China gäbe es nicht. Das ist wieder eine dieser Pauschalbehauptung, gegen die sich wenig einwenden lässt. Aber ist China nicht ein Land im Aufbruch? „Jiang und Hu gehören für mich nicht in den Himmel, sie sind zu weich, nicht wirklich mächtig“, erklärt eine junge Reisemagazin-Redakteurin in Peking ihr politisches Desinteresse. Ihr Vergleich mit Deng Xiaoping fällt für seine Nachfolger ungünstig aus. Nur wenn ihnen etwas Großes gelänge, etwa Taiwan in die Volksrepublik zurückzuführen, werde die junge Generation Jiang oder Hu wahrnehmen. So aber habe sie ihnen nichts zu verdanken. Das ist eine derzeit jugendtypische Haltung: Die KP soll erst etwas leisten, bevor man wieder bereit ist, über sie zu reden. Derweil kümmert sich jeder um sich selbst. Soziale Erwartungen an den Staat gibt es sowieso nicht mehr. Dabei unterliegen viele junge Chinesen der Illusion, dass sie sich ihre Meinung ohnehin unabhängig von der Regierung bilden. Auch in den Internet-Chatrooms gab es dabei keine Diskussionen mehr, nur noch Propagandareflexe. Diskussionen gibt es heute in China viele, siehe Irak, aber nirgendwo Selbstkritik, trotz fehlender Liebe zur KP. GEORG BLUME