Schäubles Strategie durchschauen

betr.: „Wenn Karlsruhe zu oft beißt“

Christian Rath wirft dem Bundesverfassungsgericht vor, sich „als Art Zwischen-Gesetzgeber“ zu etablieren, der jedes Gesetz mit Korrekturwünschen zurückverweise. Es beschädige damit den Ruf der Politik und fördere in bedenklicher Weise die Demokratieskepsis.

Diese Argumentation ist so misslungen, dass man nicht weiß, wo man ansetzen soll, um die vielen Ungereimtheiten aufzudecken.

Der Deutsche Bundestag erlässt seit einigen Jahren reihenweise Gesetze, die verfassungswidrig sind. In Ausübung seiner Rolle in einem Rechtsstaat wird dies vom Bundesverfassungsgericht gerügt. Statt dieses Urteil zu akzeptieren, startet der Bundesinnenminister einen Medienfeldzug, mit dessen Hilfe er versucht, das Gericht einzuschüchtern, und findet in der Presse willige Helfer, die nicht die Politik dafür kritisieren, schlechte Gesetze zu machen, die unsere Grundrechte schleifen, sondern das Verfassungsgericht, dies zu monieren. Dabei legt Rath nicht dar, dass das Verfassungsgericht sich anmaße, politische Entscheidungen zu fällen. Ihn stört einfach die Menge der kritisierten Gesetze. Vielleicht möchte er eine Verfassungsänderung vorschlagen, gemäß der Gerichte nur 20 Prozent staatlicher Rechtsakte aufheben dürften? Merkwürdige Quantifizierung von Recht und Unrecht.

Wie kann man nur die Strategie von Schäuble nicht durchschauen? Er möchte das Bundesverfassungsgericht einschüchtern, damit es seiner Politik der Schleifung des Grundgesetzes nicht mehr Widerstand leistet. Das ist ihm gerade jetzt, während der Beratungen zum Lissabonner Vertrag, den Schäuble in Karlsruhe verteidigt hat, wichtig. Ein ihn ablehnendes Urteil wäre der GAU der Politik. Sie müsste sich gerichtsfest anhören, dass sie über Jahrzehnte Bürgerrechte nach Brüssel abgeladen hat, ohne dort Ersatz zu schaffen. Als einfache Bürger können wir nur noch hoffen, dass die Richter weiterhin den Mut haben werden, die Grundprinzipien unseres Rechtsstaats zu verteidigen. HARALD GREIB, St. Jean de Fos, Frankreich