Ein mittleres Wunder

Die deutsche Elf wird ihrer Favoritenrolle gerecht. Mit dieser Weltmeisterschaft endet die Pionierzeit des Frauenfußballs

von MATTI LIESKE

„Deutschland ist Fußball-Weltmeister“, brüllt der Fernsehkommentator mit einem Hauch von Herbert Zimmermann und 1954 in der Stimme. Auf dem Platz spielen sich nach dem Golden Goal von Nia Künzer zum 2:1 die obligatorischen Hüpfrituale auf deutscher Seite ab, fließen die Tränenströme auf schwedischer. DFB-Präsident Mayer-Vorfelder küsst alles, was sich nicht rechtzeitig in den nahe gelegenen Pazifik stürzen kann, das Publikum im brandneuen Stadion von Carson/Los Angeles zollt freundlich Beifall für ein gutes und spannendes WM-Finale. Das Wunder von Carson? Die Geburt einer Fußballnation? Mitnichten!

Ein Weltmeisterschaftsgewinn der deutschen Frauen ist zwar im Fußball nicht ganz so selbstverständlich wie beim Dressurreiten oder Hallenhockey, aber eine Sensation stellt er, anders als das Erreichen des WM-Finales durch die Völler-Rumpler ein Jahr zuvor, keinesfalls dar. In der Welt des Frauenfußballs ist das DFB-Team eine absolute Größe, des Öfteren durften die viermaligen Europameisterinnen zumindest schon schnuppern an den wertvollsten Trophäen, als da wären Olympiagold und Weltmeistertitel. Auch zum Turnier in die USA reisten sie als einer der aussichtsreichsten Favoriten.

Dass es diesmal tatsächlich klappte, lag an der beherzten Art, in der die Spielerinnen die Gunst der Stunde nutzten. Während andere stark eingeschätzte Teams entweder ihren Zenit überschritten haben, wie Norwegen oder USA, sich im Umbruch befinden, wie China, oder noch zu jung und unerfahren sind, wie Brasilien und die beiden koreanischen Teams, hat der in vielen Jahren gewachsene Kern des Kaders von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer just bei dieser WM den Gipfel seiner Leistungsstärke erreicht. Er war gefestigt durch die Erfahrung von durchschnittlich 60 Länderspielen, aber dennoch gespickt mit Spitzenkräften im besten Fußballerinnenalter. Insgesamt eine exquisite Mischung aus kollektiver Geschlossenheit, taktischer Disziplin und individueller Brillanz. Durchaus hilfreich auch eine segensreiche Auslosung, die erst im Halbfinale mit den USA einen ernsthaften Gegner in den Weg legte. Bislang stets die Nemesis der Deutschen, die aber in etlichen bitteren Niederlagen gelernt haben, dass man dem virtuosen Kombinationsspiel der Amerikanerinnen am besten mit strikter Defensive und Konterfußball beikommt. Was dann beim 3:0 auch prächtig funktionierte.

Deutschland zählt neben den Skandinavierinnen, den USA und China zu den weltweiten Pionieren des Frauenfußballs, entsprechend groß war lange Zeit der Vorsprung gegenüber den nachrückenden Nationen. Schon 1982 bestritt das DFB-Team sein erstes Länderspiel (5:1 gegen die Schweiz), seit 1974 wird die deutsche Meisterschaft ausgespielt, seit den frühen 90er-Jahren gibt es eine zweigleisige Bundesliga, seit 1998 die eingleisige. Die hiesige Liga ist trotz meist bescheidener Zuschauerzahlen und geringen Sponsorenaufkommens eine der stärksten in Europa. 60.000 Euro bekommen die Vereine jeweils an Fernsehgeldern vom DFB, obwohl so gut wie nie etwas übertragen wird. Sporthilfe, Bundeswehr, Sponsoren ermöglichen Spitzenspielerinnen Formen des Halbprofitums. Bis zur Gründung der US-Profiliga (Wusa) kamen aber auch die Stars nicht ohne Nebenjob über die Runden. Von der Wusa zu lernen, vor allem im Marketingbereich, kommt für die meisten Bundesliga-Manager nicht in Frage. Die zumindest temporäre Pleite der US-Liga, welche die besten Fußballerinnen aus aller Welt unter geradezu idyllischen Bedingungen konzentrierte, sehen sie eher mit Häme. „Der deutsche Vereinsfußball kann im Gegensatz zur Wusa gesunde Wettbewerbsstrukturen aufweisen, sowohl im sportlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich“, sagt etwa Siegfried Dietrich, Manager des Dauermeisters und letztjährigen Europacupsiegers 1. FFC Frankfurt. Das gilt indes vor allem für seinen Klub. „Die Liga hat Dorfcharakter“, urteilte dagegen noch letztes Jahr Alfred Werner, Vorsitzender des FFC Heike Rheine.

Dass sich dies in absehbarer Zeit ändert, ist auch nach dem WM-Triumph trotz aller gespitzten Lippenbekenntnisse von Funktionärsseite kaum zu erwarten. Dabei dürfte diese Weltmeisterschaft für all jene, die zum ersten Mal seit längerem Frauenfußball gesehen haben, ein Anlass zum Augenreiben gewesen sein. Auch dank des hohen Niveaus der Wusa hat sich die Qualität des Spiels auf höchster Ebene so entwickelt, dass es sich in puncto Technik und Spielwitz kaum hinter dem Männerfußball zu verstecken braucht. Ähnlich wie beim Tennis oder Volleyball sind Frauenspiele inzwischen sogar oft attraktiver als manch Bundesliga- oder Uefa-Cup-Gewürge, weil weniger die Kraft, mehr das Spielerische dominiert, außerdem viel seltener gefoult wird, wodurch der Spielfluß besser ist.

Seit der ersten WM 1991 in China haben die Frauen etwa hundert Jahre Männerfußballgeschichte im Zeitraffer nachgeholt. Ein zunächst exklusiver Kreis von wenigen Teams, die allen anderen haushoch überlegen waren, wurde bis zum Ende der Neunziger behutsam erweitert. In den letzten Jahren drängen – analog zur Entwicklung bei den Männern seit den 80ern – starke Teams von allen Kontinenten in die Weltspitze. Es war also allerhöchste Zeit für den Titelgewinn der DFB-Frauen. Die Ära der Pionierinnen ist mit diesem WM-Turnier wohl endgültig abgeschlossen, schon bei Olympia 2004 könnte die Zeit reif sein für eine echte Sensation.