„Die Weltwirtschaft ist ein getroffenes U-Boot“

Wir stehen erst am Beginn eines weltweiten konjunkturellen Absturzes, sagt der Globalisierungskritiker Walden Bello. Die G 20 wird kaum helfen. Die Linke habe aber das theoretische Rüstzeug für das Verständnis der Krise

WALDEN BELLO, 63, ist Professor für Soziologie an der staatlichen Universität der Philippinen und seit 2003 Träger des alternativen Nobelpreises, dem Right Livelihood Award. Er ist zudem Senior Analyst der Organisation Focus on the Global South und engagiert sich in der Freedom from Dept Coalition.

taz: Herr Bello, die Weltbank hat dieser Tage vor einem Absturz der Weltwirtschaft gewarnt. Wie schätzen Sie die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Süden ein?

Walden Bello: Sie werden massiv sein. Am stärksten werden Volkswirtschaften leiden, die sich vollständig der Globalisierung geöffnet und ihr Wachstum etwa durch exportorientierte Industrialisierung an die Märkte im Ausland geknüpft haben. Weit weniger betroffen sind dagegen Länder mit geringerem Öffnungsgrad, zum Beispiel viele Staaten in Afrika.

Und die jetzigen Effekte?

Die Agrarexporte von Argentinien und Brasilien befinden sich im freien Fall. In Ostasien sind die Exporte ebenfalls steil abgestürzt. In China haben laut der Regierung 20 Millionen Arbeiter in den vergangenen Monaten ihre Jobs verloren. Der Wert des koreanischen Won ist um mehr als 30 Prozent gefallen. Die Überweisungen südostasiatischer Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer sinken gewaltig, die arbeitslosen Arbeiter kehren zudem verstärkt nach Indonesien und auf die Philippinen zurück.

Wird sich die Situation weiter verschlimmern?

Ja, definitiv. Wir sind erst am Beginn des weltweiten Absturzes. Ich weiß nicht, wann der Tiefpunkt erreicht sein wird – und wie lange die Weltwirtschaft dort dann verharrt. Die globale Ökonomie ist wie ein getroffenes U-Boot, das mit großer Geschwindigkeit zum Meeresboden sinkt. Wenn es dort aufgeschlagen hat: Niemand weiß, ob die Besatzung es jemals wieder flottbekommt und zum Aufsteigen bringt. Ebenso wenig wissen wir, ob keynesianische Wiederbelebungsversuche Erfolg haben.

Erwarten Sie, dass die G 20 das in den Griff bekommen?

Nein. Die Voraussetzungen für ein neues Bretton-Woods-System sind nicht gegeben. Jeder ist sich immer noch selbst der Nächste. Es gibt wenig Unterstützung für eine Reform des IWF und eine stärkere Rolle der Weltbank. Zudem wird in der WTO der Abschluss der Doha-Runde nicht vorangetrieben, da viele Verhandler der Globalisierung misstrauen. Zudem ist im Basel-Prozess versäumt worden, den Banken den nötigen Regelungsrahmen zu geben. Es wird viele nette Worte über Multilateralismus geben – aber wenig Taten.

Was ist mit der neuen US-Administration unter Obama?

In der Wirtschaftspolitik wendet sie sich nach innen und damit von Globalisierung und Freihandel ab. Sie spricht sich zwar für Multilateralität und gegen Protektionismus aus, aber das sind bislang nur Worthülsen. Obamas erste Priorität ist die Stabilität der US-Ökonomie. Rhetorisch werden die USA beim G-20-Treffen in London eine führende Rolle übernehmen, wenn es um die globale Finanzarchitektur und starke Regulation geht. Die tatsächliche Ausrichtung wird dann aber einheimischen Interessen untergeordnet.

Was müsste getan werden, um ein weiteres Auseinanderdriften der Welt zu verhindern?

Wie sehen linke Antworten auf die Weltwirtschaftskrise und die anstehenden Veränderungen aus? Im Vorfeld des G-20-Gipfels und der Großdemonstrationen am 28. März diskutieren darüber VertreterInnen aus Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften und Bewegungen auf einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Linksfraktion, die heute und morgen in Berlin stattfindet. Zu den ReferentInnen gehören neben Walden Bello auch Attac-Ehrenpräsidentin Susan George, DGB-Chefvolkswirt Dirk Hierschel, Prof. Jörg Huffschmidt und Ex-Fondsmanager Eric Janszen. Weitere Informationen unter: www.rosalux.de

Angesichts der weltwirtschaftlichen Exzesse ist Deglobalisierung eine gute Sache. Sie muss begleitet sein von wirtschaftlicher Regionalisierung und gestärkten nationalen Ökonomien. Die Globalisierung hat nationale Volkswirtschaften ruiniert. Sie hat sie verletzlich bis hin zum Zusammenbruch gemacht, indem sie schützende Grenzen niederriss sowie Produktion und Handel dem Weltmarkt unterwarf. Die Herausforderung für uns ist, wie sich ein Weltsystem schaffen lässt, in dem Teilnahme am globalen Kapital- und Güterverkehr die nationale Ökonomien stärkt, statt sie zu zerstören.

Schaffen das die Linke und die sozialen Bewegungen?

Die Linke hat das theoretische Rüstzeug für das Verständnis der Krise. Besonders wichtig ist dabei die marxistische Analyse – einschließlich der Einsichten von Rosa Luxemburg – , dass der Kapitalismus zu Überakkumulation und Überproduktion tendiert. Die Herausforderung liegt darin, weltweit eine Massenbewegung aufzubauen und national eine antikapitalistische Antwort auf die Krise zu befürworten. Demokratie in der Wirtschaft, mehr Demokratie in der Politik müssen die Ziele sein. INTERVIEW: HENNING HEINE