Man schlägt sich durch

Angry young man der polnischen Literatur? Im Nachklapp zur Literaturhaus-Reihe „Europa schreibt“ liest Andrzej Stasiuk morgen ebendort aus „Galizische Geschichten“

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Koketterie gehört für Andrzej Stasiuk zum Handwerk: Immer habe er die Rock‘n‘Roller bewundert. Nie die Schriftsteller. Aber er war zu keiner Zeit Mitglied einer Band. „Heute bedauere ich das. Ich hätte weniger lesen können. Zumal die meisten Bücher scheiße waren. Ich hätte ein Instrument ordentlich lernen können. Ich wäre Rock‘n‘Roll-Star geworden und müsste nicht all diese Bücher schreiben.“ Das, worin diese Sätze stehen, ist eine Mogelpackung: In Wie ich Schriftsteller wurde (1998; dt. 2001) findet sich keine Zeile darüber, wie er zum Schreiben kam. Nur wie er um alles andere herumkam.

Denn ob es einer der zahlreichen Jobs war oder die Armee: Als Stasiuk in den späten 70ern jung war und in Warschau abhing mit den Kiffern, Vorsitzenden des Zentralkomitees der Kneipen und Arbeiterhelden der Übungsräume, habe er immer eines Tages vergessen hinzugehen. Der atemlose Duktus dieses autobiographischen Berichts klingt derart nach Kerouac, dass Stasiuk sich mit ihm den Ruf des „angry young man“ der polnischen Literatur einhandelte – obwohl er schon 38 Jahre alt war, als das Buch erschien, und in einem Bergdorf lebte, wo er bis heute mit seiner Frau den Verlag Czarne betreibt.

Stasiuk verfolgt in beinahe jedem Buch eine neue Erzählstrategie. Angefangen hat er mit Die Mauern von Hebron (dt. 2003), in das seine Gefängnis-Erfahrungen eingeflossen sind: Das Wegbleiben von der Armee hatte ihm 1981, das Kriegsrecht war gerade verhängt worden, eine eineinhalbjährige Haftstrafe eingebracht. Angeblich dort in zwei Wochen niedergeschrieben („Ich hatte keine Ahnung, dass es so leicht ist, ein Buch zu schreiben.“), liest sich das erst 1992 erschienene und seitdem immer wieder aufgelegte Buch wie die denkbar düsterste Version der Geschichten aus 1000 und einer Nacht, abgehorcht den kleinen und großen Outlaws Polens in halb so vielen Nächten.

Seinen Erzählband Galizische Geschichten (1995; dt. 2002), aus dem er heute Abend im Literaturhaus liest, füllte Stasiuk mit skurrilen Gestalten und mystischen Erzählungen an, die er in den Beskiden vorgefunden hat, im Niemandsland an der südlichen Grenze Polens, wo zahlreiche Vertreibungen und Völkermorde die aus Ruthenen, Polen, Juden und Slowaken zusammengesetzte Bewohnerschaft immer wieder ausgedünnt haben: Traktorfahrer, Provinzpriester oder, in der Geschichte „Die Nacht“, das Gespenst des Mörders Kosciejny. Auch in Der weiße Rabe (1995; dt. 1998) – diesmal aus der Perspektive einer Handvoll Städter auf einer Art Abenteuerurlaub in den Bergen – spiegelt Stasiuk die psychischen Räume seiner Figuren in den geographischen. Mit Die Welt hinter Dukla (1997; dt. 2000) hat Stasiuk dieses Verfahren bis an den Rand getrieben, dorthin, wo der Text sich in sich selbst kehrt, das Erzähler-Ich vollständig aus der beschriebenen Landschaft und den mit ihr verbundenen Assoziationen hervorgeht: eine Suche nach den Möglichkeiten von Gedächtnis ohne die Selbstermächtigungen der Subjektivität.

Dem auktorialen Erzählen überließ sich Stasiuk erstmals in Neun (1999; dt. 2002). Für sein jüngstes Buch kehrte er wieder zu den Großstadtgeschichten zurück. Er entwirft darin ein Warschau der 90er Jahre, wie es trübsinniger kaum sein könnte: Die Kneipe „Der Laden läuft“ hat längst geschlossen und niemand glaubt daran, dass „die Wirtschaft die Welt retten könnte“.

Welche Erzählhaltung Stasiuk auch einnimmt, seine Sympathien sind immer auf der Seite der Geprellten, seien es die der kommunistischen, die der ruralen oder die der kapitalistischen Welt. Seine Helden stattet er mit einer speziellen Zähigkeit und viel Lakonie gegen die Zumutungen aus, keines seiner Bücher, in dem sich nicht wieder und wieder die Wendung „So war das“ findet. Man ist da, man schlägt sich durch, und irgendwann ist es zu Ende. So ist das.

Lesung morgen, 20 Uhr, Literaturhaus