Ganz entrückt – zurück

Die Städtischen Bühnen Osnabrück bringen „Ein Stück Rosa Luxemburg“ zur Uraufführung. Reflexionen über die Bedeutung des sozialrevolutionären Denkens

Eine Leiche ist sie heute nur noch, gezeichnet von Verfolgung und Folter. Rosa Luxemburg als Zombie. Sichtlich verstört und mit diversen Blessuren kommt sie zurück an die Öffentlichkeit – mit „Ein Stück Rosa Luxemburg“. Die ersten Sätze des Monologs fallen der Revolutionsikone hörbar schwer. Schwach ist sie, muss mit einer Sackkarre zur Uraufführung ins Magazin des Osnabrücker Stadttheaters gefahren werden.

Als Rosa Luxemburg sich erhebt und unters Publikum mischt, eckt sie an, wird abgestoßen, prallt zurück. Irgendwie passt dieses wiederauferstandene Wesen nicht in die heutige Zeit. Gilt das auch für ihre Gedanken und Theorien?

Rosa Luxemburg ist Anfang des 20. Jahrhunderts davon ausgegangen, dass sich in einer der konjunkturell auftretenden Krisen des Kapitalismus die Arbeiter der Mechanismen des Kapitalismus bewusst – und dann in einem spontanen revolutionären Akt von der Unterdrückung befreien würden. Heute gäbe es nicht einmal Adressaten einer solch frohen Botschaft, meint Rosa Luxemburg-Forscher Rolf Wortmann, Politikwissenschaftsprofessor an der Fachhochschule Osnabrück. „Ich sehe nicht das handlungsfähige Subjekt, das die Verhältnisse so zum Tanzen bringt, dass die Wall Street auf irgendeine Bevölkerungsgruppe mit Angst und Schrecken schaut und denkt: Mein Gott, die könnten uns ans Leder.“

Vor hundert Jahren habe es noch eine Klasse gegeben, die genügend gesellschaftliche und politische Kraft besaß, weil sie ein Bewusstsein von Zusammengehörigkeit hatte. Das fehle denjenigen, die heute aus dem ökonomischen System herausfallen. Wortmann: „Wenn heute an dem Rand stehende Gesellschaftsgruppen streiken, dann lacht sich alles tot.“ Die Protestform dieser Gruppen bestehe daher nicht in Aufständen, entlade sich vielmehr in Kriminalität.

Wenn Rosa Luxemburg wiederkommen würde, hätte sie uns nichts mehr zu sagen. Davon ist Utz Qualmann, Regisseur und Autor der Uraufführung, überzeugt: „Die Ideen, die Gedanken, die Wünsche und Träume, die sie vertreten hat, sind mittlerweile ohne Wert.“

In seiner Inszenierung ist Rosa Luxemburg daher durch Neda Rahmanian zwar körperlich anwesend, aber doch seltsam entrückt. Man sieht ihr an, dass sie gelitten hat. Man hört ihre Ansichten. Man spürt die Stärke und Kraft dieser Frau. Eine Kraft, die sie ihrem politischen Kampf gewidmet hat. Vergeblich zwar, aber immerhin.

Vielleicht ist es dieses mahnende Trotzdem, weswegen Rosa Luxemburg für einen kurzen Moment verzweifelter Erinnerung zurück in die Welt geholt wurde. Interessant ist, dass der Zuschauerraum dabei komplett gefüllt und am Ende von lang anhaltendem Applaus erfüllt ist. Ärgerlich ist, dass die Intendanz das Stück nach der Uraufführung nicht in den Spielplan aufgenommen hat. Heiko Ostendorf