Nur mit Besessenheit

betr.: „Das ist ein tief gehendes Schiff“, taz bremen vom 11.10.2003

Liebe Carmen Emigholz,

für Ihr anhaltendes und leidenschaftliches Engagement für die Bremer Kulturszene, das auch in dem am 11. Oktober erschienenen taz-Interview zum Ausdruck kam, bin ich Ihnen sehr dankbar. Tatsächlich ist die Bewerbung Bremens als Europäische Kulturhauptstadt 2010 längst zu einer Hoffnungsträgerin geworden, die uns über strukturelle Notstände zeitweilig hinwegtröstet. Insofern bin ich Ihnen besonders dankbar, die Schwerpunktsetzung „Museen“ erneut angesprochen zu haben.

Qua Amt muss ich mir jedoch erlauben, unbescheiden zu sein: Nicht nur Kunsthalle und Neues Museum Weserburg haben es trotz finanzieller Krisen geschafft, aufsehenerregende Ausstellungen zu produzieren, sondern auch die Kunstsammlungen Böttcherstraße konnten bei minimaler Ausstattung Bremer Produktionen exportieren: In den vergangenen zwölf Monaten wurden die Ausstellungen „Die Sacharoffs“ und „Bau einer neuen Welt“ von Museen in Köln, München (Villa Stuck) und Berlin (Bauhaus-Archiv) übernommen; eine Übernahme der aktuellen Ausstellung („Rineke Dijkstra. Paula Modersohn-Becker. Portraits“) wurde inzwischen von Kollegen in Rotterdam angefragt. Im Eigenverlag sowie bei den Verlagshäusern Insel-Verlag, Wienand und W. König sind in den letzten zwölf Monaten darüber hinaus sechs Bücher erschienen; und dies alles – wie Sie wissen – bei einem jährlichen städtischen Zuschuss seitens des Kulturressorts von 219.000 €, dem geringsten, den ein Bremer „fünf+“-Museum mit ständigem Ausstellungsbetrieb bekommt. „Brutstätten und Besessenheit“ – ohne beides in sich zu tragen, ist unsere Aufgabe längst nicht mehr machbar!

Dr. Rainer Stamm, Direktor der Kunstsammlungen Böttcherstraße