Schüler zu mächtig – und zu dumm zum Wählen

Stell dir vor es ist Konferenz, und alle reden mit! Neues Berliner Schulgesetz fördert Basisdemokratie – aber auch die Bedenken vor zu viel Mitgerede

„Kinder sind noch nicht in der Lage, so eigenständig zu entscheiden“

VON LENA VON SEGGERN

Klingt doch gut: Schüler können seit dem Sommer ihren Schulleiter benennen. Schon 12-Jährige haben nun das Recht, über Schwerpunktsetzungen ihrer Schule mitzureden. Schüler, Lehrer und Eltern können also zu gleichen Teilen über Etat, Programm und Leitung ihrer Schule entscheiden. Denn mit dem Schulgesetz, das mit dem neuen Berliner Schuljahr in Kraft trat, wurde auch der Macht- und Kompetenzbereich der Schulkonferenz erweitert, diese zum obersten Gremium der Schulen erhoben.

Zu viel Basisdemokratie, argwöhnen einige. Lehrerin Hilde S. (Name geändert) zum Beispiel ahnt Schlimmes. Sie unterrichtet an einer Berliner Sonder- und Grundschule, die nur von Schülern bis einschließlich siebte Klasse besucht wird. S. befürchtet, dass die Schüler durch gezielte Stimmungsmache manipuliert werden könnten. „Die Kinder sind intellektuell noch nicht in der Lage, über so gewichtige Fragen eigenständig zu entscheiden“, findet sie.

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) und die Senatsverwaltung für Bildung Jugend und Sport, die das neue Schulgesetz initiierten, sehen das naturgemäß anders. Die Neuregelung solle ein Signal an Lehrer, Schüler und Eltern sein, dass „Bildung in Berlin nur in gemeinsamer Verantwortung gelingen kann“, erklärt die Sprecherin Anne Rühle. Es ginge ums miteinander Kommunizieren und darum, Elternrechte zu stärken. Was hat sich also geändert?

Zuvor hatte die Gesamtkonferenz, die aus dem Lehrendenkollegium sowie zwei Elternvertretern und zwei Schülern bestand, ein „Benennungsrecht“ für den Schulleiter. Abstimmungsberechtigt waren allerdings nur die Lehrenden. Seit diesem Schuljahr bewerben sich die an der Schulleitung interessierten Pädagogen zwar weiterhin beim Schulamt, doch wird dessen Entscheidung anschließend in der Schulkonferenz debattiert. Diese hat ein Zweidrittel-Vetorecht und kann die Kandidaten ablehnen. Das Schulamt muss dann einen neuen Vorschlag machen.

Auch die Schulkonferenz ist neu strukturiert. Zuvor saßen in ihr jeweils vier Lehrende, Schüler und Eltern, die inhaltlich zum Beispiel über das Schulprogramm diskutierten. Abstimmungsberechtigt war jedoch nur die Gesamtkonferenz. Nun bilden vier Lehrer, vier Eltern, vier Schüler ab der siebten Klasse und eine nichtschulische Person die Schulkonferenz. In ihr können Eltern und Schüler mit über den schulischen Etat entscheiden. Lehrende sorgen sich nun, dass unter den Schülern Stimmungsmache betrieben und die Schulleiterkandidaten künftig mehr nach Sympathie denn nach Kompetenz beurteilt werden. „Die Neuregelung kann aber an Gymnasien als Chance begriffen werden“, meint Hilde S. Endlich könnten alle Parteien bei der Gestaltung ihrer Schule mitreden.

Rosemarie Seggelke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält es für wichtig, dass die Schüler vor den Entscheidungsrunden über die anstehenden Themen informiert und aufgeklärt werden, „sonst sind sie nicht in der Lage, eigenständig zu entscheiden“. Alexander Freier, Vorsitzender des Landesschülerausschusses, begrüßt die Erweiterung des Mitentscheidungsrechts für Schüler uneingeschränkt. Er hat sich dafür stark gemacht, dass die, um deren Zukunft es geht, endlich das Leben in der Schule aktiv mitgestalten dürfen. Auch Freier sieht das Problem der „Beliebtheitswahl“. Letzten Endes aber, wiegelt er Befürchtungen ab, habe doch weiterhin das Schulamt das letzte Wort. „Die Kompetenzen der Schüler müssten sogar noch viel weiter reichen.“