domizil beim metzger von JOACHIM SCHULZ
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Heute will ich von meiner Zeit bei Müllerdiehl erzählen. Müllerdiehl war und ist bis heute die größte Metzgerei der Stadt, und ich bewohnte damals im Stammhaus der Firma ein Studentenquartier, das aus einem winzigen Zimmer mit Küchenzeile und Etagenklo bestand. Das einzige Fenster meiner Kabuse ging auf den Hof hinaus, und dort auch stand ein niedriges Nebengebäude, aus dessen Schornstein unablässig ein dichter Wurstmacherdampf zum Himmel stieg. Das heißt: Zum Himmel stieg er ja gerade nicht, er hüllte vielmehr den Hof fortdauernd in einen klebrigen Nebel und zog – da das Fenster schlecht schloss – in meine Kemenate herein.

Bereits beim Aufwachen kitzelte das fettig-säuerliche Odeur von frischer Cervelatwurst mein Riechepithel, was speziell an einem Morgen nach einem ausgedehnten Zug durch die Gemeinde mein Wohlbefinden nicht gerade steigerte.

Die Miete für meine Behausung kam meinen kirchenmausähnlichen Vermögensverhältnissen indes sehr entgegen. Zudem versorgte Frau Müllerdiehl mich regelmäßig mit Mortadellaresten oder Schnitzeln, die bei Geschäftsschluss noch keinen Käufer gefunden hatten. „Hau’n Sie sie gleich in die Pfanne“, empfahl die Metzgersfrau, „bis morgen halten die sich nicht mehr!“ Ich tat, wie mir geheißen, und zahlte für meine Sorglosigkeit nur in erstaunlich seltenen Fällen mit einer unruhigen und größtenteils auf dem Etagenklo verbrachten Nacht.

Trotzdem empfand ich keine Zuneigung zu Frau Müllerdiehl, und das lag an dem kreischenden Klang ihrer Stimme und ihrer Liebe zu einer schwarzen Katze, die unten im Hof ihren dauerhaften Wohnsitz eingerichtet hatte. Unaufhörlich palaverte Frau Müllerdiehl mit dem Tier, und emsig sägte ihr schrilles Geschrei an meinen Nerven. „Ach, da ist ja meine Königin der Nacht! Komm her und schau, was ich für dich habe!“, trillerte die Metzgersfrau und versorgte ihren Liebling mit einer Schüssel voller Leckereien aus hauseigener Produktion. Längst war die Katze kugelrund wie ein Heißluftballon geworden, und jedes Mal, wenn ich sie sah, wartete ich darauf, dass sie mit einem trockenen „Peng!“ zerplatzte.

Die Schüssel, die nie leer wurde, zog jedoch auch andere Katzen an. Wenige Monate nach meinem Einzug wuselte ein gutes Dutzend Pussies im Hof herum, und das rief Frau Müllerdiehls Gatten auf den Plan. „Nicht die Königin! Nicht die Königin!“, hörte ich Frau Müllerdiehl kreischen, während ihr Ehegemahl etwas wie „So geht das nicht! Gesundheitsamt! Konzession!“ murmelte und den ungebetenen Gästen stieren Blickes entgegenstapfte.

Gepeinigt von Frau Müllerdiehls Gekeife, trat ich die Flucht in die Unibibliothek an. Als ich am Abend heimkehrte, befand sich nur noch die Königin im Hof. Dafür stand eine Tafel vor dem Laden, auf welcher „Heute im Angebot: Hackfleisch halb und halb!“ zu lesen war. Ein Zufall, mag sein – doch als Frau Müllerdiehl mir abends mit den Worten „Is’ lecker, sehr würzig! Machense Frikadellen draus!“ ein Kilo Angebotshackfleisch brachte, entschied ich mich trotzdem dafür, fürs Erste zum Vegetarismus zu konvertieren und mir schnellstmöglich eine neue Bleibe zu suchen.