Frischeverlust bei den Schwaben

Der VfB Stuttgart kommt trotz Überzahl über ein 0:0 bei Hertha BSC nicht hinaus und verliert dadurch die Tabellenspitze. Trainer Matthias Sammer macht anschließend den Motzki und erklärt ein ungültiges Tor für gültig

BERLIN taz ■ Der Mann, den sie Motzki nennen, bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. Entspannt schlenderte Matthias Sammer in den Presseraum in den noch unfertigen Katakomben des Berliner Olympiastadions, freundlich lächelnd wünschte er der dort versammelten Journaille einen guten Abend. Entsprechend ruhig und sachlich fiel dann auch die erste Analyse des Stuttgarter Trainers aus: Ein Stück weit Frische und Spritzigkeit habe seiner Mannschaft nach dem Uefa-Cup-Auftritt vom Donnerstag noch gefehlt, entsprechend habe sie es verpasst, „in den entscheidenden Situationen die entscheidenden Dinge“ zu zeigen. Wer wiederum das nicht auf die Reihe kriegt, muss mit einem torlosen Remis wohl zufrieden sein, selbst wenn der Gegner, also die Berliner Hertha, mehr als eine Halbzeit lang in Unterzahl auf dem Platz steht, weil der ebenso junge wie mit Gelb vorbestrafte Nando Rafael nach 43 Minuten den Ball erst einige Zeit nach dem spielunterbrechenden Pfiff von Schiedsrichter Jürgen Jansen weggeschlagen hatte und dafür zu Recht mit Gelb-Rot bestraft worden war. „Das Unentschieden geht in Ordnung“, befand Sammer also, aber noch während er das sagte, war zu spüren wie ihm die Ruhe, um die er sich so bemühte, schon wieder abhanden kam und der Motzki in ihm aufstieg.

Der Grund hierfür wiederum hatte sich nach gut einer Stunde zugetragen – und in Form eines Treffers. Silvio Meißner war im Strafraum hochgestiegen, hatte den Ball erst wuchtig mit dem Kopf, dann aber auch noch mit der Hand berührt, bevor das Spielgerät im Netz der Hertha landete. „Handspiel“ reklamierte Schiri Jansen und erkannte den Treffer ab, Unsinn urteilte Sammer – und machte den Motzki. „Das war eine natürliche Bewegung. Man müsste ja blöd sein, mit der eigenen Hand den eigenen Ball aufzuhalten. Silvio ist aber nicht blöd“, wetterte der VfB-Coach. Ergo: „Der wär’ sowieso drin gewesen. Für mich ist das ein klares Tor.“ Basta!

Nur zählen tut’s eben nicht, Gemotze hin oder her – und Punkte dafür können auch nicht eingesackt werden, weshalb die Schwaben nach einer Woche an der Tabellenspitze diese auch schon wieder abgeben mussten (und das auch noch an den VfL Wolfsburg). „Es war zu wenig Bewegung drin. Wenn man eine Halbzeit lang gegen zehn Mann spielt, dann muss man das Spiel machen. Das haben wir versäumt“, nannte Nationalspieler Philipp Lahm den Grund hierfür. Für den VfB als solchen zu hoffen bleibt, dass tatsächlich und ausschließlich der von Sammer aufgeführte Frischeverlust für das mäßige Spiel im hauptstädtischen Olympiastadion verantwortlich zeichnete. Jung und wild wie in der Vorsaison präsentierte sich der VfB am Sonntag jedenfalls nicht, zu oft ging der Ball schon im Mittelfeld verloren, vorne wiederum fand sich kaum eine Anspielstation, weil Cacau (4 Saisontreffer) von der Hertha-Defensive weitgehend abgemeldet und Kevin Kuranyi (3 Saisontreffer) verletzungsbedingt erst gar nicht mit von der Partie war.

Das alles kann natürlich der Ausnahmezustand sein, andererseits war schon der 2:0-Sieg gegen den HSV in der Vorwoche kaum von spielerischem Glanz überstrahlt. Und überhaupt: Der VfB hat seine bisher elf Punkte ausschließlich gegen Teams gesammelt, die nicht eben zur Beletage der Bundesliga gehören, namentlich gegen Mainz, Kaiserslautern, Nürnberg, den HSV und nun eben die Berliner Hertha. Die, auf Rang 14 dümpelnd, hat zwar in dieser Saison noch nicht verloren, aber eben auch noch nicht gewonnen, was ausgerechnet der Ex-VfBler Fredi Bobic zusammenfasste: „Es bleibt durchwachsen.“ Am Sonntag galt dies freilich auch für den Tabellenzweiten aus Stuttgart.

FRANK KETTERER