american pie
: Erneut hofft Boston auf das Ende des Yankee-Fluchs

Baseball im Reich des Übels

Eine Radiostation in New York setzte vor einigen Tagen das unschuldige Wörtchen „Boston“ und alles, was damit zusammenhängt, kurzerhand auf den Index. Was bedeutet, dass nicht nur die gleichnamige Band nicht mehr zu Gehör gebracht, sondern auch Musik von Aerosmith boykottiert wird, weil die Gruppe in Boston wohnt. Für viele Rundfunkhörer möglicherweise eine eher wohltuende Folge der heftigen Rivalität zwischen den Baseballteams der New York Yankees und Boston Red Sox. Anders sieht es da schon mit der Hummersuppe aus New England aus, die Yankees-Besitzer George Steinbrenner von den Speisekarten seines Stadions verbannte. Die Vorgänge machen deutlich, dass eine der ältesten Rivalitäten im amerikanischen Baseball so virulent ist wie eh und je.

Das freut vor allem die Fans der Red Sox, welche die Halbfinalserie der Major League Baseball am Montag mit einem 3:2-Sieg zum 2:2 ausglichen und es geschafft haben, endlich mal wieder ernst genommen zu werden im großen New York. Denn während man in Boston traditionell nichts sehnlicher wünscht, als dem verhassten Kontrahenten ein Schnippchen zu schlagen, waren die Sox selten mehr als eine Laus im Pelz der Yankees – lästig, aber leicht loszuwerden. Die New Yorker gewannen eigentlich immer.

Nur zu Anfang des letzten Jahrhunderts hatten die Red Sox das erfolgreichere Team. Seit 1918, kurz bevor Boston den legendären Babe Ruth zu den Yankees transferierte und so den „Fluch des Bambino“ über sich brachte, haben die Rotsocken aber keine World Series mehr für sich entschieden. Die Yankees schafften dieses Kunststück hingegen 26-mal. Viele bittere, zum Teil herzzerreißende Niederlagen pflastern den Weg der Red Sox im Duell mit ihren ewigen Peinigern. Nebenbei spezialisierten sich diese auch noch darauf, Boston die besten Spieler abspenstig zu machen oder vor der Nase wegzuschnappen, zuletzt den kubanischen Pitcher José Contreras. Sox-Präsident Larry Lucchino nannte die Yankees daraufhin das „Reich des Übels“ und sprach damit allen Fans seines Teams aus dem tiefsten Herzen.

Ein Sieg in der laufenden Serie wäre für viele wichtiger als ein Triumph in der anschließenden World Series gegen Chicago Cubs oder Florida Marlins. Entsprechend hitzig war die Atmosphäre bei den Heimspielen im Fenway Park von Boston. Gleich im ersten Match, dem dritten der Serie, welches New York mit 4:3 gewann, eskalierten die Dinge. Zunächst hatte der für seine Ausraster berühmte Sox-Pitcher Pedro Martinez die Emotionen angeheizt, als er mit einem Wurf exakt den Kopf von Schlagmann Jason Giambi anvisierte. Martinez ist ohnehin der Buhmann für die Yankees, nachdem er bei einem Spiel im Juli gleich zwei New Yorker Spieler mit fiesen Bällen an der Hand verletzt hatte. Wenig später rastete Bostons Schlagmann Manny Ramirez nach einem unkontrollierten, aber weit von ihm entfernten Pitch von Roger Clemens aus, auch ein ehemaliger Red-Sox-Star. Spieler beider Teams gingen aufeinander los, New Yorks Assistenzcoach Don Zimmer nutzte die Chance zu einem Versuch, sein Mütchen am bösen Martinez zu kühlen. Der ließ sich nicht lumpen und schleuderte den heranstürmenden Angreifer zu Boden, was tagelange Empörung in New York nach sich zog. Don Zimmer ist dort nicht nur extrem beliebt, sondern er ist auch 72 Jahre alt. „Für ein solches Verbrechen wäre Martinez in New York verhaftet worden“, ließ sich New Yorks Bürgermeister Michael R. Bloomberg wortstark vernehmen. Der stammt unglücklicherweise aus Boston und hat nicht nur gegen den Ruf seines Vorgängers Giuliani als 9/11-Held, sondern auch gegen dessen Image als Yankees-Fan Nummer eins zu kämpfen. Zu guter Letzt gab es noch eine weitere Rauferei, als ein Stadionangestellter den Bereich der Yankees-Reservisten nutzte, um die Red Sox anzufeuern.

Die Liga reagierte mit harten Strafen – 50.000 Dollar beispielsweise für Martinez –, die Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. FBI, National Guard und Polizisten in Kampfausrüstung überwachen die weiteren Spiele. Besonders graust den Verantwortlichen vor einem eventuellen siebten, entscheidenden Spiel, wenn im Yankees-Stadium in der Bronx ausgerechnet Pedro Martinez als Pitcher der Red Sox antreten würde.

Allerdings scheint die eintägige Regenpause am Sonntag die Gemüter etwas abgekühlt zu haben. Spiel vier im Fenway Park lief jedenfalls überaus zivilisiert ab. Für Entrüstung sorgte da lediglich Michael Bolton, als er beim Singen der Nationalhymne hängen blieb, weil er den Text vergessen hatte. Kann sein, dass nun auch das Wort Bolton auf den Index einiger Radiostationen kommt.

MATTI LIESKE